The So-called FortsetzungsFanFiction
Teil 1 von Michel Erskine
Brian drehte sich noch immer der Kopf, als Angela und Jordan schon lange fort waren. Er fuhr mit seinem Fahrrad die Straße hinauf und hinab, immer wieder, und ließ sich dabei das Gespräch mit Angela durch den Kopf gehen. Er erinnerte sich an jedes Wort, an jede Geste und jede Mine von Angela. Wie dämlich hatte er sich angestellt! Aber so war es immer, wenn er sich in eine kritische Situation gebracht hatte. Dann kam es Brian vor, als stünde er neben sich und beobachtete sich selbst, während sein Körper versuchte, sich aus der Situation herauszuwinden. Genauso war es vorhin mit Angela gewesen, irreal. Sie hatte ihn direkt gefragt, ob er den Liebesbrief in Jordans Namen geschrieben hatte. Brian konnte es einfach nicht zugeben, aber Angela erriet dennoch die Wahrheit. Warum konnte er einen Liebesbrief schreiben, der Angela zu Tagträumen verführte, aber ihr nicht in die Augen blicken und offen zugeben, was er für sie empfand? Letztes Jahr im Sommercamp, in das ihn seine Eltern gegen seinen Willen geschickt hatten, war es doch möglich gewesen. Aber Lisa Holtzman war nicht Angela, und er hatte gewußt, daß sie sich nie wiedersehen würden.
Vielleicht lag es daran, daß er Angela schon so lange kannte. Als Kinder waren sie nahezu unzertrennlich gewesen. Angela war wie eine Schwester und zugleich bester Freund für ihn. Das machte es jetzt umso schwieriger. Ging er zu weit, riskierte er das Ende ihrer Freundschaft. Doch sagte er nichts und gab seine Gefühle nicht zu, dann würde es sein Herz zerreißen. Und zwar schon bald. Nicht Jordan war der Gefangene in seinem selbst errichteten Gefängnis, nein, er selbst, Brian Krakow, war gefangen!
Brian kam wieder am Haus der Chases vorbei. Dort stand der Baum, unter dessen kühlendem Schatten sie sich kennengelernt hatten. Er hielt an, stieg langsam vom Fahrrad ab und lehnte es vorsichtig an den Stamm. Dann schwang er sich auf den dicken Ast, wie auch früher schon so oft, wenn er sich mit Angela verabredet hatte und darauf wartete, daß sie aus dem Haus kam. Er machte es sich so bequem wie möglich, schloß die Augen und erinnerte sich.
"Brian, Liebling, versteh doch, es ist besser so!" Mrs. Krakow versuchte, ihrem Sohn Brian, der gerade sechs Jahre alt geworden war, die Situation zu erklären. Sie glaubte fest daran, daß es wichtig war, mit Kindern nicht in einer gekünstelten Babysprache, sondern wie mit einem Erwachsenen zu sprechen, von Anfang an. Die drei Krakows saßen in ihrem braunen Volvo und befanden sich auf dem Weg von ihrem bisherigen Wohnort Wilmington in das fast 400 Kilometer entfernte Pittsburgh, wo sie im Stadtteil Three Rivers im Neubaugebiet ein Haus mit einem kleinen Garten gekauft hatten, wie sie es sich immer gewünscht hatte.
"Laß den Jungen in Ruhe, es ist schwierig genug für ihn." Mr. Krakow war wieder einmal anderer Meinung als seine Frau. "Brian verliert alle seine Freunde, und in einem Monat kommt er in die Schule. Laß ihn doch einmal seine Kindheit genießen!" Der Umzug war die Idee seiner Frau gewesen. Sie hatte eine Anstellung als Psychiaterin im Memorial Hospital angenommen, während er sich noch immer nicht entscheiden konnte, ob er mit der Psychoanalyse, der Psychiatrie oder der Kinderheilkunde weitermachen sollte. Zuerst wollte er sich einen Überblick über die Möglichkeiten in Pittsburgh verschaffen, während seine Frau ihn schon länger drängte, ebenfalls die Psychiatrie zu wählen, damit sie gemeinsam eine kleine Praxis eröffnen könnten.
Brian stöhnte. Ständig mußten sich seine Eltern streiten. Ihnen war jeder Anlaß recht, aber am meisten stritten sie sich darüber, was Brian tun oder lassen sollte. Er stand dann zwischen den Fronten und versuchte es beiden recht zu machen, obwohl er auch manchmal geschickt seine Eltern zu überlisten wußte, so wie damals, als er unbedingt die Mondfinsternis beobachten wollte. Seine Mum war dagegen, weil sie fand, daß kleine Jungs um acht ins Bett müssen. Es würden ja noch viele Mondfinsternisse kommen. Also hatte er gewartet, bis sie zur Nachtschicht gegangen war, und hatte dann erst seinen Dad gefragt - der ihm natürlich erlaubte wachzubleiben.
Diese ganze Umzugsgeschichte war Brian nicht geheuer. Er hatte Angst vor der neuen Stadt, jetzt wo er sich gerade in Wilmington auskannte, und er hatte Angst, keine Freunde zu finden. Mit den meisten Kindern in seinem Alter wußte er nichts anzufangen. Er konnte schon seit einem Jahr lesen, weil seine Mum ihm das beigebracht hatte. Sie fand, daß er gar nicht früh genug damit beginnen konnte. Das Lesen hatte ihm eine neue Welt eröffnet, obwohl er noch mit vielen unbekannten Wörtern Mühe hatte. Am besten gefielen ihm die Geschichten, in denen es um die Abenteuer des kleinen Ben ging, der ständig neue Sachen erfand. Die hatte ihm sein Dad schon vorgelesen, als Brian erst vier war, und nun konnte er sie selbst alle nachlesen.
Als sie endlich in Three Rivers angekommen waren und Brian seine Tasche ins Haus getragen hatte, schickte ihn seine Mutter gleich wieder hinaus, damit er beim Einräumen nicht im Weg umging. "Geh undsuch dir Kinder, mit denen du spielen kannst." Als ob das so einfach wäre!
Das war also sein neues Zuhause. Brian stapfte lustlos im Vorgarten umher. Ach, was sollte er nur mit sich anfangen, er kannte ja hier niemanden. Und seine Bücher und Spielsachen waren noch in den großen Kartons, die die Umzugsfirma erst im Laufe des Tages liefern würde. Es war langweilig. Gerade als er zurück ins Haus gehen wollte, um vielleicht doch etwas helfen zu können, hörte er von nebenan eine Stimme.
"Stell dich nicht so an, Danielle! Ich bin die Mami und du bist mein Baby. Du mußt schon tun, was ich dir sage, und brav alles aufessen!"
Das machte Brian neugierig. Vorsichtig ging er um die Hecke und schlich sich an den großen Baum heran, hinter dessen dicken Stamm er sich bequem verstecken konnte. Er linste hervor. Dort sah er im Schatten des Baums ein Mädchen auf einer Decke sitzen, das etwa so alt wie er war. Sie versuchte, ein zweites, viel jüngeres Mädchen dazu zu bewegen, von den Kuchen zu probieren, die sie mit ihren Förmchen aus Sand gebacken hatte. Doch das kleinere Mädchen wehrte
sich, indem es die Hand vor den Mund preßte und wild den Kopf schüttelte. Plötzlich drehte die Kleine sich um - und blickte genau in Brians Augen, der erschrocken den Kopf zurückzog und sich fest an den Baumstamm preßte. Das Mädchen rief seiner Schwester zu: "Da, Junge!"
Oh nein! Jetzt stand das ältere Mädchen auf und kam langsam auf Brians Baum zu! Er fühlte sich ertappt. Doch dem Mädchen, das den Baum nun erreicht hatte, schien es gar nichts auszumachen, daß er sie beobachtet hatte. Nein, im Gegenteil, sie schien sehr fröhlich, und redete einfach drauf los.
"Hi, ich heiße Angela, und wie heißt du?"
"Ich? Äh, Brian. Brian Krakow!"
"Hi, Brian! Du bist gerade nebenan eingezogen, nicht wahr? Ich habe dich vorhin schon gesehen, wie du aus dem Auto gestiegen bist. Willst du mit mir spielen, Brian? Das da ist meine Schwester, Danielle. Sie ist erst zweieinhalb, noch ein richtiges Baby. Ich bin fast sechs! Komm, wir spielen Mutter, Vater, Kind. Sonst spiele ich immer mit Sharon, die ist meine beste Freundin, aber die ist gerade mit ihren Eltern in den Urlaub gefahren, und jetzt ist mir langweilig. Los, komm, du spielst den Dad, der gerade von der Arbeit heimkommt, und ich die Mum, und unser Baby muß jetzt gefüttert werden!"
So verbrachten sie den ganzen Nachmittag. Zuerst weigerte sich Danielle standhaft, doch gemeinsam konnten Angela und Brian sie überreden, von dem Kuchen zu kosten. Das war ein Spaß! Angelas Mum fand das gar nicht so lustig. Als sie sah, was die beiden mit Danielle anstellten, kam sie augenblicklich aus dem Haus herausgelaufen.
"Oh, Angela, was hast du nun schon wieder angestellt. Keine Sekundekann man dich aus den Augen lassen! Du sollst doch auf deine Schwester aufpassen und nicht andauernd Unsinn mit ihr anstellen!" Sie blickte auf Brian. "Und wen haben wir denn hier?"
Noch bevor er antworten konnte, ergriff Angela das Wort. "Das ist Brian, er wohnt jetzt im Haus nebenan. Mum, macht uns Dad seine Pfannkuchen? Ich habe Brian versprochen, daß er mit uns Abendessen darf. Darf er? Bittebitte!"
Brian war begeistert von den Chases, die so ganz anders als seine eigenen Eltern waren. Angelas Dad zauberte die köstlichsten Pfannkuchen auf den Tisch. Die schmeckten viel, viel besser als zu Hause, wo seine Mum genau darauf achtete, daß er nicht zu viel Süßes aß. Auch Angelas Mum gefiel ihm, weil sie immer gute Laune zu haben schien.
Am besten gefiel ihm jedoch Angela. Sie hatte die verrücktesten Ideen, bei deren Ausführung Brian tatkräftig mithelfen durfte. In den folgenden zwei Wochen erlebte Brian mit ihr mehr als je zuvor, so daß seine Ängste vor der neuen Stadt wie weggeblasen waren. Gemeinsam erkundeten sie Three Rivers, gingen an heißen Tagen mit Angelas Dad zum Baden, erschreckten die kleine Katze der Chases und spielten Räuberhöhle im Keller. Jede Tag war aufregender und spannender als der Tag zuvor. Brian konnte es morgens gar nicht erwarten, Angela zu treffen. Gleich nach dem Frühstück rannte er aus dem Haus und kletterte auf den Baum in Angelas Garten, wo sie immer gemeinsam Pläne für den Tag schmiedeten.
Doch heute kam Angela nicht heraus. Brian wußte nicht, was er tun sollte. Er hatte sich nun schon so daran gewöhnt, mit Angela zusammen zu sein, daß er keine Lust auf ein langweiliges Ersatzprogramm hatte. Seine Bücher würden ihm nicht davonlaufen, aber was war mit Angela passiert? Nach einer halben Ewigkeit, die er auf seinem Ast sitzend verbrachte, faßte sich Brian ein Herz und klingelte bei den Chases. Mrs. Chase öffnete.
"Oh, Brian, du bist es. Suchst du Angela? Hat sie dir nichts gesagt? Sharon ist doch gestern abend zurückgekommen. Angela ist bei den Cherskys und kommt erst heute Nachmittag wieder heim. Tut mir leid, Brian, ich dachte, du wüßtest das."
Brian schüttelte den Kopf. Er brachte kein Wort heraus. Angela, seine Freundin, mit der er in diesem Sommer soviel erlebt hatte, konnte ihn doch nicht so plötzlich vergessen haben. Und alles nur wegen dieser, wie hieß sie noch? Genau: Sharon! Er war eifersüchtig auf dieses Mädchen, das er noch nicht einmal kannte und das jetzt an seiner Stelle mit Angela zusammen spielte. Dabei war sie doch seine Freundin!
Brian lief fort, ohne sich von Mrs. Chase zu verabschieden. Weil er alleine nicht weiter als bis zur Kreuzung gehen durfte, rannte er dreimal die Straße hinauf und wieder hinunter, doch das brachte ihm auch nichts weiter ein als völlig außer Atem zu sein. Ohne Angela wußte er nichts mit sich anzufangen. Er ging zurück in sein Zimmer, zog seine Ben-Geschichten hervor, legte sie aber gleich wieder weg. Nicht einmal sein Experimentierkasten, über den er sich zu Weihnachten noch so gefreut hatte, wollte ihm heute Spaß machen. Die Zeit bis zum Abendessen kam ihm wie eine ganze Woche vor.
Brians Eltern hatten tagsüber keine Zeit, sich mit ihm zu beschäftigen. Seine Mutter mußte im Hospital arbeiten, und sein Vater klapperte die Fakultäten der Universität ab. Sie hatten sich gegenseitig soviel zu erzählen, daß sie von Brians gedrückter Stimmung nichts bemerkten. Aber es mußte etwas geschehen. Brian mußte unbedingt wissen, was Angela heute den ganzen Tag über gemacht hatte, und vor allem, ob sie noch seine Freundin war. Beim Abendessen faßte er einen Entschluß: er würde es heute noch herausfinden.
Da es noch hell war, erlaubten ihm seine Eltern, noch einmal hinaus zu gehen. Sie waren froh, daß er hier so schnell Anschluß gefunden hatte. Das Mädchen von nebenan hatte einen guten Einfluß auf Brian, der leider bisweilen dazu neigte, sich seine eigenen Wege zu suchen.
Brian hatte den ganzen Tag über immer wieder zum Haus der Chases hinübergeblickt, um Angela abpassen zu können, wenn sie heimkam. Da er sie nicht gesehen hatte, mußte sie immer noch bei dieser Sharon sein. Was die beiden wohl miteinander spielten? Pah, bestimmt spielte diese Sharon mit Puppen, das machten Mädchen doch immer. Was Angela nur an ihr fand? Angela brauchte einen Kumpel wie ihn, mit dem sie auf Bäume klettern und über Bäche springen konnte. Sie brauchte ihn, und nicht so ein Sharon-Püppchen!
In düstere Gedanken versunken, trottete Brian auf den Baum im Nachbarsgarten zu. Hier wollte er warten, bis Angela endlich käme, und sie zur Rede stellen. Er schwang sich auf seinen Ast. Angela müßte sich entscheiden. Entweder er oder Sharon!
Brian erschrak. Er war wohl eingenickt, doch ein Geräusch hatte ihn aufgeweckt. Zuerst wußte er nicht, wo er sich befand, denn es war dunkel und er war mitten aus seinen Gedanken - oder Träumen - gerissen worden. Sein schmerzenden Rücken erinnerte ihn daran, daß er noch immer auf dem Baum saß. Da! Da war das Geräusch wieder! Brian war nun hellwach. Er erkannte, daß das Geräusch von zwei Personen ausging, die auf seinen Baum, die auf ihn zukamen! Jetzt sprachen die beiden Personen miteinander. Eine der Stimmen gehörte Angela!
Sie hielten genau unter Brians Ast. Brian bemühte sich, keine Aufmerksam auf sich zu lenken, was gar nicht einfach war, denn genau in diesem Moment fing seine Nase an zu jucken. Seine Mutter vermutete eine Allergie, sein Vater behauptete, das sei psychosomatisch, doch ganz egal was es war, das Jucken war da, und Brian mußte sich schnell die Nase zuhalten, damit es nicht schlimmer wurde und er sich durch sein Niesen verriet. Ach, wäre er doch nie auf diesen Baum gestiegen, dann wäre er nicht in diese peinliche und unangenehme Situation geraten. Immer wieder passierten ihm solche Sachen, es war zum Verrücktwerden!
Vielleicht lag es daran, daß er Angela schon so lange kannte. Als Kinder waren sie nahezu unzertrennlich gewesen. Angela war wie eine Schwester und zugleich bester Freund für ihn. Das machte es jetzt umso schwieriger. Ging er zu weit, riskierte er das Ende ihrer Freundschaft. Doch sagte er nichts und gab seine Gefühle nicht zu, dann würde es sein Herz zerreißen. Und zwar schon bald. Nicht Jordan war der Gefangene in seinem selbst errichteten Gefängnis, nein, er selbst, Brian Krakow, war gefangen!
Brian kam wieder am Haus der Chases vorbei. Dort stand der Baum, unter dessen kühlendem Schatten sie sich kennengelernt hatten. Er hielt an, stieg langsam vom Fahrrad ab und lehnte es vorsichtig an den Stamm. Dann schwang er sich auf den dicken Ast, wie auch früher schon so oft, wenn er sich mit Angela verabredet hatte und darauf wartete, daß sie aus dem Haus kam. Er machte es sich so bequem wie möglich, schloß die Augen und erinnerte sich.
"Brian, Liebling, versteh doch, es ist besser so!" Mrs. Krakow versuchte, ihrem Sohn Brian, der gerade sechs Jahre alt geworden war, die Situation zu erklären. Sie glaubte fest daran, daß es wichtig war, mit Kindern nicht in einer gekünstelten Babysprache, sondern wie mit einem Erwachsenen zu sprechen, von Anfang an. Die drei Krakows saßen in ihrem braunen Volvo und befanden sich auf dem Weg von ihrem bisherigen Wohnort Wilmington in das fast 400 Kilometer entfernte Pittsburgh, wo sie im Stadtteil Three Rivers im Neubaugebiet ein Haus mit einem kleinen Garten gekauft hatten, wie sie es sich immer gewünscht hatte.
"Laß den Jungen in Ruhe, es ist schwierig genug für ihn." Mr. Krakow war wieder einmal anderer Meinung als seine Frau. "Brian verliert alle seine Freunde, und in einem Monat kommt er in die Schule. Laß ihn doch einmal seine Kindheit genießen!" Der Umzug war die Idee seiner Frau gewesen. Sie hatte eine Anstellung als Psychiaterin im Memorial Hospital angenommen, während er sich noch immer nicht entscheiden konnte, ob er mit der Psychoanalyse, der Psychiatrie oder der Kinderheilkunde weitermachen sollte. Zuerst wollte er sich einen Überblick über die Möglichkeiten in Pittsburgh verschaffen, während seine Frau ihn schon länger drängte, ebenfalls die Psychiatrie zu wählen, damit sie gemeinsam eine kleine Praxis eröffnen könnten.
Brian stöhnte. Ständig mußten sich seine Eltern streiten. Ihnen war jeder Anlaß recht, aber am meisten stritten sie sich darüber, was Brian tun oder lassen sollte. Er stand dann zwischen den Fronten und versuchte es beiden recht zu machen, obwohl er auch manchmal geschickt seine Eltern zu überlisten wußte, so wie damals, als er unbedingt die Mondfinsternis beobachten wollte. Seine Mum war dagegen, weil sie fand, daß kleine Jungs um acht ins Bett müssen. Es würden ja noch viele Mondfinsternisse kommen. Also hatte er gewartet, bis sie zur Nachtschicht gegangen war, und hatte dann erst seinen Dad gefragt - der ihm natürlich erlaubte wachzubleiben.
Diese ganze Umzugsgeschichte war Brian nicht geheuer. Er hatte Angst vor der neuen Stadt, jetzt wo er sich gerade in Wilmington auskannte, und er hatte Angst, keine Freunde zu finden. Mit den meisten Kindern in seinem Alter wußte er nichts anzufangen. Er konnte schon seit einem Jahr lesen, weil seine Mum ihm das beigebracht hatte. Sie fand, daß er gar nicht früh genug damit beginnen konnte. Das Lesen hatte ihm eine neue Welt eröffnet, obwohl er noch mit vielen unbekannten Wörtern Mühe hatte. Am besten gefielen ihm die Geschichten, in denen es um die Abenteuer des kleinen Ben ging, der ständig neue Sachen erfand. Die hatte ihm sein Dad schon vorgelesen, als Brian erst vier war, und nun konnte er sie selbst alle nachlesen.
Als sie endlich in Three Rivers angekommen waren und Brian seine Tasche ins Haus getragen hatte, schickte ihn seine Mutter gleich wieder hinaus, damit er beim Einräumen nicht im Weg umging. "Geh undsuch dir Kinder, mit denen du spielen kannst." Als ob das so einfach wäre!
Das war also sein neues Zuhause. Brian stapfte lustlos im Vorgarten umher. Ach, was sollte er nur mit sich anfangen, er kannte ja hier niemanden. Und seine Bücher und Spielsachen waren noch in den großen Kartons, die die Umzugsfirma erst im Laufe des Tages liefern würde. Es war langweilig. Gerade als er zurück ins Haus gehen wollte, um vielleicht doch etwas helfen zu können, hörte er von nebenan eine Stimme.
"Stell dich nicht so an, Danielle! Ich bin die Mami und du bist mein Baby. Du mußt schon tun, was ich dir sage, und brav alles aufessen!"
Das machte Brian neugierig. Vorsichtig ging er um die Hecke und schlich sich an den großen Baum heran, hinter dessen dicken Stamm er sich bequem verstecken konnte. Er linste hervor. Dort sah er im Schatten des Baums ein Mädchen auf einer Decke sitzen, das etwa so alt wie er war. Sie versuchte, ein zweites, viel jüngeres Mädchen dazu zu bewegen, von den Kuchen zu probieren, die sie mit ihren Förmchen aus Sand gebacken hatte. Doch das kleinere Mädchen wehrte
sich, indem es die Hand vor den Mund preßte und wild den Kopf schüttelte. Plötzlich drehte die Kleine sich um - und blickte genau in Brians Augen, der erschrocken den Kopf zurückzog und sich fest an den Baumstamm preßte. Das Mädchen rief seiner Schwester zu: "Da, Junge!"
Oh nein! Jetzt stand das ältere Mädchen auf und kam langsam auf Brians Baum zu! Er fühlte sich ertappt. Doch dem Mädchen, das den Baum nun erreicht hatte, schien es gar nichts auszumachen, daß er sie beobachtet hatte. Nein, im Gegenteil, sie schien sehr fröhlich, und redete einfach drauf los.
"Hi, ich heiße Angela, und wie heißt du?"
"Ich? Äh, Brian. Brian Krakow!"
"Hi, Brian! Du bist gerade nebenan eingezogen, nicht wahr? Ich habe dich vorhin schon gesehen, wie du aus dem Auto gestiegen bist. Willst du mit mir spielen, Brian? Das da ist meine Schwester, Danielle. Sie ist erst zweieinhalb, noch ein richtiges Baby. Ich bin fast sechs! Komm, wir spielen Mutter, Vater, Kind. Sonst spiele ich immer mit Sharon, die ist meine beste Freundin, aber die ist gerade mit ihren Eltern in den Urlaub gefahren, und jetzt ist mir langweilig. Los, komm, du spielst den Dad, der gerade von der Arbeit heimkommt, und ich die Mum, und unser Baby muß jetzt gefüttert werden!"
So verbrachten sie den ganzen Nachmittag. Zuerst weigerte sich Danielle standhaft, doch gemeinsam konnten Angela und Brian sie überreden, von dem Kuchen zu kosten. Das war ein Spaß! Angelas Mum fand das gar nicht so lustig. Als sie sah, was die beiden mit Danielle anstellten, kam sie augenblicklich aus dem Haus herausgelaufen.
"Oh, Angela, was hast du nun schon wieder angestellt. Keine Sekundekann man dich aus den Augen lassen! Du sollst doch auf deine Schwester aufpassen und nicht andauernd Unsinn mit ihr anstellen!" Sie blickte auf Brian. "Und wen haben wir denn hier?"
Noch bevor er antworten konnte, ergriff Angela das Wort. "Das ist Brian, er wohnt jetzt im Haus nebenan. Mum, macht uns Dad seine Pfannkuchen? Ich habe Brian versprochen, daß er mit uns Abendessen darf. Darf er? Bittebitte!"
Brian war begeistert von den Chases, die so ganz anders als seine eigenen Eltern waren. Angelas Dad zauberte die köstlichsten Pfannkuchen auf den Tisch. Die schmeckten viel, viel besser als zu Hause, wo seine Mum genau darauf achtete, daß er nicht zu viel Süßes aß. Auch Angelas Mum gefiel ihm, weil sie immer gute Laune zu haben schien.
Am besten gefiel ihm jedoch Angela. Sie hatte die verrücktesten Ideen, bei deren Ausführung Brian tatkräftig mithelfen durfte. In den folgenden zwei Wochen erlebte Brian mit ihr mehr als je zuvor, so daß seine Ängste vor der neuen Stadt wie weggeblasen waren. Gemeinsam erkundeten sie Three Rivers, gingen an heißen Tagen mit Angelas Dad zum Baden, erschreckten die kleine Katze der Chases und spielten Räuberhöhle im Keller. Jede Tag war aufregender und spannender als der Tag zuvor. Brian konnte es morgens gar nicht erwarten, Angela zu treffen. Gleich nach dem Frühstück rannte er aus dem Haus und kletterte auf den Baum in Angelas Garten, wo sie immer gemeinsam Pläne für den Tag schmiedeten.
Doch heute kam Angela nicht heraus. Brian wußte nicht, was er tun sollte. Er hatte sich nun schon so daran gewöhnt, mit Angela zusammen zu sein, daß er keine Lust auf ein langweiliges Ersatzprogramm hatte. Seine Bücher würden ihm nicht davonlaufen, aber was war mit Angela passiert? Nach einer halben Ewigkeit, die er auf seinem Ast sitzend verbrachte, faßte sich Brian ein Herz und klingelte bei den Chases. Mrs. Chase öffnete.
"Oh, Brian, du bist es. Suchst du Angela? Hat sie dir nichts gesagt? Sharon ist doch gestern abend zurückgekommen. Angela ist bei den Cherskys und kommt erst heute Nachmittag wieder heim. Tut mir leid, Brian, ich dachte, du wüßtest das."
Brian schüttelte den Kopf. Er brachte kein Wort heraus. Angela, seine Freundin, mit der er in diesem Sommer soviel erlebt hatte, konnte ihn doch nicht so plötzlich vergessen haben. Und alles nur wegen dieser, wie hieß sie noch? Genau: Sharon! Er war eifersüchtig auf dieses Mädchen, das er noch nicht einmal kannte und das jetzt an seiner Stelle mit Angela zusammen spielte. Dabei war sie doch seine Freundin!
Brian lief fort, ohne sich von Mrs. Chase zu verabschieden. Weil er alleine nicht weiter als bis zur Kreuzung gehen durfte, rannte er dreimal die Straße hinauf und wieder hinunter, doch das brachte ihm auch nichts weiter ein als völlig außer Atem zu sein. Ohne Angela wußte er nichts mit sich anzufangen. Er ging zurück in sein Zimmer, zog seine Ben-Geschichten hervor, legte sie aber gleich wieder weg. Nicht einmal sein Experimentierkasten, über den er sich zu Weihnachten noch so gefreut hatte, wollte ihm heute Spaß machen. Die Zeit bis zum Abendessen kam ihm wie eine ganze Woche vor.
Brians Eltern hatten tagsüber keine Zeit, sich mit ihm zu beschäftigen. Seine Mutter mußte im Hospital arbeiten, und sein Vater klapperte die Fakultäten der Universität ab. Sie hatten sich gegenseitig soviel zu erzählen, daß sie von Brians gedrückter Stimmung nichts bemerkten. Aber es mußte etwas geschehen. Brian mußte unbedingt wissen, was Angela heute den ganzen Tag über gemacht hatte, und vor allem, ob sie noch seine Freundin war. Beim Abendessen faßte er einen Entschluß: er würde es heute noch herausfinden.
Da es noch hell war, erlaubten ihm seine Eltern, noch einmal hinaus zu gehen. Sie waren froh, daß er hier so schnell Anschluß gefunden hatte. Das Mädchen von nebenan hatte einen guten Einfluß auf Brian, der leider bisweilen dazu neigte, sich seine eigenen Wege zu suchen.
Brian hatte den ganzen Tag über immer wieder zum Haus der Chases hinübergeblickt, um Angela abpassen zu können, wenn sie heimkam. Da er sie nicht gesehen hatte, mußte sie immer noch bei dieser Sharon sein. Was die beiden wohl miteinander spielten? Pah, bestimmt spielte diese Sharon mit Puppen, das machten Mädchen doch immer. Was Angela nur an ihr fand? Angela brauchte einen Kumpel wie ihn, mit dem sie auf Bäume klettern und über Bäche springen konnte. Sie brauchte ihn, und nicht so ein Sharon-Püppchen!
In düstere Gedanken versunken, trottete Brian auf den Baum im Nachbarsgarten zu. Hier wollte er warten, bis Angela endlich käme, und sie zur Rede stellen. Er schwang sich auf seinen Ast. Angela müßte sich entscheiden. Entweder er oder Sharon!
Brian erschrak. Er war wohl eingenickt, doch ein Geräusch hatte ihn aufgeweckt. Zuerst wußte er nicht, wo er sich befand, denn es war dunkel und er war mitten aus seinen Gedanken - oder Träumen - gerissen worden. Sein schmerzenden Rücken erinnerte ihn daran, daß er noch immer auf dem Baum saß. Da! Da war das Geräusch wieder! Brian war nun hellwach. Er erkannte, daß das Geräusch von zwei Personen ausging, die auf seinen Baum, die auf ihn zukamen! Jetzt sprachen die beiden Personen miteinander. Eine der Stimmen gehörte Angela!
Sie hielten genau unter Brians Ast. Brian bemühte sich, keine Aufmerksam auf sich zu lenken, was gar nicht einfach war, denn genau in diesem Moment fing seine Nase an zu jucken. Seine Mutter vermutete eine Allergie, sein Vater behauptete, das sei psychosomatisch, doch ganz egal was es war, das Jucken war da, und Brian mußte sich schnell die Nase zuhalten, damit es nicht schlimmer wurde und er sich durch sein Niesen verriet. Ach, wäre er doch nie auf diesen Baum gestiegen, dann wäre er nicht in diese peinliche und unangenehme Situation geraten. Immer wieder passierten ihm solche Sachen, es war zum Verrücktwerden!