The So-called FortsetzungsFanFiction
Teil 14 von Michael
Langsam trat die noch durch Schatten verdeckte Figur ins Licht. Angelas Gefühle überschlugen sich, als mit jedem Millimeter Jordans markante Gesichtszüge besser zu erkennen waren. Er war es wirklich, und er war nicht in den Unfall verwickelt, über den im Radio berichtet worden war! In Angelas Erleichterung darüber, daß Jordan lebte, mischten sich noch andere Gefühle. In diesem Moment flammte die Sehnsucht und die Zuneigung erneut auf, die sie gespürt hatte, als sie Jordan das erste Mal in der Schule gesehen hatte. Es war genauso wie damals, als Catalano am Spind lehnte, die Augen halb geschlossen, als sei er nicht von dieser Welt. Angela wollte auf ihn zu rennen, ihn in die Arme nehmen, ihn fest an sich drücken und nie wieder loslassen.
Doch sie tat es nicht. So sehr sie es wollte, etwas hielt sie zurück. Im Grunde genommen hatte sie gar keinen Anspruch mehr auf Jordan. Sie war es gewesen, die ihre Beziehung beendet hatte. Und sie war es gewesen, die sich erst vor ein paar Stunden Hals über Kopf in Sean verliebt hatte. Sie war nicht mehr dieselbe, sie hatte Erfahrungen gesammelt und verarbeitet. Nun, vielleicht noch nicht vollständig verarbeitet, doch immerhin so weit, daß sie ihrem ersten Impuls bei Jordans Anblick nicht nachgab. ,,Angela? Bist du das? Wer ist da neben dir?„
,,Ich bin mit Rickie hier.„
,,Woher wußtet ihr, wo ich bin?„
,,Wir waren auf der Suche nach ...„, setzte Angela an, doch Rickie unterbrach sie. ,,Wir waren auf der Suche nach dir, Jordan„, vollendete er. ,,Wir haben im Radio von einem Verkehrsunfall gehört.„ ,,Ah, der Unfall.„
Angela war überrascht. Sie wußte, daß Jordan nie Nachrichten hörte. Er bevorzugte die reinen Musiksender, die auf das überflüssige Geplapper zwischen den Songs verzichteten. Wie konnte er von dem Unfall wissen? Jordan war nun aufgestanden und kam langsam auf die beiden zu. Dabei mußte er an einem Fenster vorbei, durch dessen zerbrochenes Glas das Licht von draußen wie ein Schwert die Schatten zerriß. Angela zuckte zusammen. ,,Oh mein Gott, Jordan, du blutest!„
* * *
Rayanne hatte es satt. Seit Stunden saß sie hier an der Straße, und nichts passierte. Die Whiskyflasche, die sie zum Trost dabei hatte, war noch in demselben Zustand wie heute morgen, ungeöffnet. Es kam ihr billig vor, sich in Alkohol zu flüchten. Zu oft hatte sie das gemacht, wenn es ihr gut ging und wenn es ihr schlecht ging. Eigentlich ständig, denn sie kannte nur die beiden Stimmungsextreme. ,,Verdammt, was mache ich hier?„, murmelte sie vor sich hin. Dann stand sie ruckartig auf und schleuderte die Flasche gegen die Hauswand, die sie eine halbe Ewigkeit angestarrt hatte. Sie hatte einen Entschluß gefaßt. Sie wollte mit Angela und Rickie reden, ihnen erklären, was passiert war. Und dann zu Sharon ins Krankenhaus. Davor fürchtete sie sich insgeheim. ,,Ach was, die Pute ist selbst Schuld„, redete sie sich ein. Zuerst mußte sie aber unbedingt nach Hause! Sie steckte noch immer in den Klamotten, die sie gestern abend nach der Aufführung getragen hatte. Im Gefängnis hatte sie auch keine Gelegenheit gehabt, sich umzuziehen, natürlich nicht.
Als Rayanne das Appartement erreicht hatte, in dem sie seit fast zehn Jahren mit ihrer Mutter lebte, hörte sie schon von draußen zwei Stimmen, die miteinander laut diskutierten. Na, ,,streiten„ war wohl das bessere Wort dafür. Rayanne lauschte an der Tür, wer weiß, vielleicht waren schon wieder die Bullen da, um sie erneut einzusperren? Davon hatte sie erstmal genug. ,,Was denkst du dir eigentlich, Pete? Du hast uns verlassen, du hast mich und vor allem deine Tochter im Stich gelassen. Und jetzt stehst du plötzlich hier. Was ist denn mit dieser dummen Kuh, die dir so wichtig war? Wie hieß sie noch, Sarah, Susan, Annemarie?„ ,,Stefanie.„ ,,Genau, Stefanie mit dem dicken Hintern und den prallen Brüsten. Stefanie, die dir wichtiger war als ich und als Rayanne. Geh doch zu ihr und weine ihr etwas vor!„ ,,Wir sind seit zwei Jahren geschieden. Laß mich endlich einmal ausreden, Amber! Ich bin nicht wegen dir gekommen, ich will auch kein Geld von dir, obwohl ich es dringend brauchen könnte. Die Steuerfahnder wollen mich einfach nicht in Ruhe lassen. Sogar bis in die Entziehungskur haben sie mich verfolgt. Aber ich hatte auch viel Zeit, um nachzudenken. Vor allem über das, was ich durch mein Verhalten versäumt habe. Ich will mit Rayanne reden. Ich will sie sehen und ich will ihr endlich der Vater sein.„ ,,Dafür ist es zu spät„, schaltete sich Rayanne ein. Wie aufs Stichwort trat sie in das Appartement, als ihr Name fiel. ,,Du bist für mich so fremd wie jeder andere Kerl auf der Straße. Vater? Ich habe keinen Vater mehr. Mein Vater ist vor zehn Jahren gestorben!„ ,,Rayanne, wie kannst du so etwas sagen!„, verteidigte sich Pete Graff, der von dem plötzlichen Auftauchen seiner Tochter aus dem Konzept gebracht wurde. ,,Gestern hast du dich doch gefreut, mich zu sehen.„ ,,Gestern war ich total daneben, da war mein Körper noch voller Adrenalin vom Theaterstück. Aber heute sehe ich klar. Ich will mit dir nichts zu tun haben, verstehst du? Zehn Jahre lang habe ich dich nicht gesehen. Zum Geburtstag und zu Weihnachten eine Karte, ein bißchen Geld, das wars. So verhält sich doch kein Vater. So beschissen würde sich mein Dad jedenfalls nicht verhalten!„ Rayanne drehte sich auf der Stelle um und rannte zur Tür hinaus. Schnell, damit niemand sehen konnte, daß ihr die Tränen in die Augen geschossen waren. Sie wollte einfach nur noch weg, fort, mit niemandem mehr sprechen. Ihre Eltern waren so überrascht, daß sie nicht daran dachten, ihr nachzulaufen. Amber mußte sich setzen. ,,Siehst du jetzt, was du angestellt hast? Du hast die letzte Chance bei ihr verspielt. Du wirst sie nie wiedersehen, Pete, dafür sorge ich!„
* * *
,,Danielle, bring endlich den Mülleimer nach draußen! Und dann räum dein Zimmer auf, das sieht aus wie im Schweinestall!„ Patty Chase verlor allmählich die Nerven. Dabei wußte sie ganz genau, daß es nicht Danielle war, die sie aufregte, sondern der Gedanke, der sich immer wieder in ihren Kopf einschlich. Was ist mit Graham los? Sie hatte diese Person, diese Hallie Lowenthal, schon lange im Verdacht, hinter Graham her zu sein. Doch bislang war sie der Überzeugung gewesen, daß Graham nicht umfallen würde. Wenn sie ehrlich zu sich selbst war: Zweifel hatte sie schon gehabt. Doch an Halloween hatten sie diese umwerfende Nacht gehabt, seitdem war sie sich ihres Mannes sicherer als je zuvor. Und nun das! Patty versuchte verzweifelt, die Starke zu spielen. Diese Rolle war sie gewöhnt. Als Frau im harten Konkurrenzkampf der Druckereien hatte sie sich durchzusetzen gelernt, hatte sie eine gewisse Härte gelernt, und sie war erfolgreich damit. Zum Teufel, es wäre doch gelacht, wenn sie nicht mit der gleichen Härte ihre Privatangelegenheiten regeln konnte. Graham hatte sie betrogen, Graham mußte ausziehen, Graham muß in die Scheidung einwilligen. Scheidung? War es das, was sie wirklich wollte? Immer wieder landete sie bei diesem einen Wort. Scheidung. Achtzehn Jahre Ehe durch einen Richterspruch beendet. Sie würde zumindest keine finanziellen Schwierigkeiten haben. Für die Kinder wäre es schwieriger. Gut, Angela zeigte sich in der letzten Zeit schon sehr erwachsen, fast war es zuviel des Guten. Sie würde jedenfalls vernünftig reagieren. Aber Danielle, hm, ihre Jüngste war doch noch sehr anhänglich. Sie brauchte ihren Vater. Würde es ihr genügen, ihn nur alle zwei Wochen zu sehen? ,,Verdammt, Graham, wie konntest du nur?„, sagte sie laut vor sich hin, während sie versuchte, das Wohnzimmer sauber zu machen.
Nein, so einfach war es nicht, sich zu lösen. Graham war der Mann, mit dem sie ihr Leben verbringen wollte. Er gehörte zu ihr, wie sie zu ihm gehörte. Vielleicht war es nicht nur seine Schuld. Sie mußte hart arbeiten und hatte oft keine Zeit für die Familie. Lange Zeit hatte sie ihren Mann nicht so unterstützt, wie es für eine Ehefrau angebracht war. Sie hatte ihn völlig unterschätzt, ihm nichts zugetraut. Das Familienleben war zur Routine geworden, gar nicht zu sprechen von ihrem Sex. ,,Außerdem bin ich alt.„ Vielleicht zu alt für Graham? Männer hatten es so viel leichter. Sie wurden nicht älter, sondern reifer und dadurch attraktiver. Kein Wunder, daß Hallie sich ihn schnappen wollte. Patty setzte sich auf die Couch und schüttelte den Kopf. Wie hatte es nur passieren können, vor ihren Augen, ohne daß sie etwas merkte. Sie mußte blind gewesen sein. Aber so leicht würde es diese Person nicht haben. Patty faßte einen Entschluß: sie würde um ihn kämpfen! ,,Du wirst dein blaues Wunder erleben„, sagte sie laut und hieb mit der geballten Faust auf den Tisch. Danielle, die ihre Mutter heimlich durch das Treppengeländer beobachtet hatte, zog sich erschrocken zurück.
* * *
Eine blutige Spur zog sich durch Jordan Catalanos Gesicht. Sie begann gleich unter seinem Haaransatz an der Stirn, lief an der Nase entlang über Mund und Kinn und verlor sich am Hals, wo sein Hemd begann. Auf Angelas entsetzten Ausruf hin blieb Jordan mitten im Licht stehen und faßte sich an die Stirn. Langsam zog er die Hand herunter, um das Ergebnis seiner Untersuchung zu betrachten. Tatsächlich, Blut. Die Wunde war also wieder aufgegangen. ,,Ich dachte, du weißt von dem Unfall?„, sagte Jordan. Nun war Angela verwirrt. Also war Jordan doch an dem Unfall beteiligt gewesen? Aber er stand doch hier, vor ihr, und im Radio war die Rede davon gewesen, daß der jugendliche Fahrer schwer verletzt im Krankenhaus lag. ,,Welchen Unfall meinst du denn?„, fragte Rickie. ,,Jetzt weiß ich gar nichts mehr! Was ist denn passiert, nachdem du uns bei den Chases abgesetzt hast?„ ,,Ich habe dich mit diesem Typen gesehen, Angela. Dann bin ich ins Auto gestiegen und so rumgefahren. An irgend so einer Kreuzung steht neben mir einer, den ich mal bei Tino gesehen habe, und drückt beim Anfahren aufs Gas. Ich dachte, der will ein Rennen, und bin hinterher. So ging das an jeder Ampel weiter, mal war er vorne, mal ich. Dann kamen wir an die Kreuzung vor dem Let‘s Bolt, ihr wißt schon.„ Angela nickte. Mit dem Let‘s Bolt hatte sie so ihre Erfahrungen. ,,Diesmal war er wieder schneller„, fuhr Jordan in seiner Erzählung fort. ,,Aber er war zu schnell. Sein Auto brach hinten aus, er konnte es nicht mehr einfangen und geriet auf die andere Straßenseite. Da waren plötzlich diese Radfahrer, eine ganze Gruppe. Sie flogen durch die Gegend, und überall war Blut. Ich habe so fest gebremst, daß ich mit dem Kopf gegen das Lenkrad geknallt bin. Dann war alles dunkel. Als ich aufwachte, sah ich drüben die Polizei und viele Krankenwagen. Mit den Bullen wollte ich nichts zu tun haben, also habe ich meinen Wagen gestartet und bin losgefahren. Irgendwann stand ich dann vor dem Lagerhaus und bin reingegangen. Und nun seid ihr da.„
Für einen Moment wußten die drei nicht, was sie sagen sollten und wie es weitergehen sollte, bis Rickie das Schweigen brach. ,,Kannst du fahren, Jordan? OK. Und dein Auto, ist das noch in Ordnung? Gut, dann fahren wir alle zusammen ins Krankenhaus. Ange und ich wollten sowieso dorthin, um Sharon zu besuchen, und du kannst dort deine Wunde verarzten lassen. Du mußt denen ja nicht erzählen, wie es zu der Verletzung kam. Los, gehen wir!„ Auf der Fahrt ins Krankenhaus wollte kein richtiges Gespräch aufkommen. Jordan hatte alle Mühe, sich auf den Straßenverkehr zu konzentrieren, während das Blut zwar langsam, aber doch stetig aus seiner Wunde tropfte. Angela hatte genügend Themen zum Nachdenken. Sean oder Jordan, irgendwann müßte sie eine Wahl treffen. Sie dachte, es wäre so einfach, aber mit jedem Moment, den sie neben Jordan saß, wurde es schwieriger. Außerdem war Angela wieder einmal erstaunt, wie umsichtig ihr Freund Rickie war. Er wußte immer, was zu tun ist. Und er war so einfühlsam! Er saß hinten im Wagen, betrachtete Angela und Jordan, aber er nervte nicht mit Fragen, wie es ein Brian oder eine Rayanne getan hätten. Als sie das Krankenhaus erreicht hatten, wurde Jordan gleich in die Notaufnahme verwiesen. Weil die Behandlung wohl länger dauern würde, verabschiedeten sie sich voneinander.
Angela und Rickie machten sich nun auf den Weg zum Empfang. ,,Wir möchten gerne zu Sharon Chersky. Sie ist gestern hier eingeliefert worden.„ ,,Chersky, Chersky, hmmm. Einen Moment bitte.„ Die junge Dame am Empfang blätterte durch einige Dokumente, blickte immer wieder auf den Computerbildschirm und sah sehr verzweifelt aus. ,,Es tut mir leid, ich finde keine Chersky, Sharon, in meinen Unterlagen. Sind Sie sicher, daß sie hier eingeliefert wurde?„ Angela war sich sicher. Ihre Mum hatte ihr das erzählt, und die wiederum hatte die Information von Camille, Sharons Mutter. ,,Nein, ich kann nichts über sie finden. Vielleicht fragen Sie Dr. Sellers, der hatte gestern abend Dienst. Ah, dort drüben kommt er gerade!„ Angela und Rickie liefen auf den kleinen, etwas rundlich wirkenden Mann zu, auf den die Empfangsdame sie aufmerksam gemacht hatte. ,,Dr. Sellers? Wir suchen unsere Freundin Sharon Chersky. Wissen Sie, wo wir sie finden?„ ,,Oh, das Mädchen mit der Schlägerei? Es tut mir leid, Sie können nicht zu ihr, nur Verwandte haben Zutritt. Ihr Zustand hat sich überraschend verschlechtert. Wir mußten sie auf die Intensivstation verlegen. Mehr darf ich nicht sagen. Bitte, entschuldigen Sie mich, ich muß weiter ...„
* * *
Brian war es peinlich, nach Hause zu kommen. Heute morgen hatte seine Mutter ihn mit Amy zusammen im Bett erwischt. Dabei hatte er gedacht, daß seine Eltern gar nicht daheim seien!Die änderten auch ständig ihre Pläne. Seine Mum war sichtlich überrascht gewesen, vielleicht sogar schockiert, doch sie hatte versucht, die Situation zu überspielen. Vor Amy hatte sie vermutlich keine Szene machen wollen. Das kommt bestimmt jetzt, dafür umso heftiger, dachte sich Brian. ,,Mum, Dad, ich bin zu Hause!„, rief Brian, als er die Türe aufschloß und eintrat. ,,Mum, wo bist du? Ist keiner da?„ ,,Oh, Brian, du bist es!„ Die Stimme seiner Mutter kam aus der Küche. ,,Komm, hilf mir mal, der Abfluß scheint verstopft zu sein.„ Nicht schon wieder! Tausendmal hatte Brian seiner Mutter erklärt, daß sie nicht alle Abfälle in den Abfluß werfen sollte, weil der Müllzerkleinerer nicht soviel Kraft hat, um Knochen und Gläser zu verarbeiten. Die Folge war eine regelmäßige Verstopfung sämtlicher Abflüsse. ,,Warte, Mum, laß mich das machen.„
Brian schaltete zunächst die Sicherung aus - man wußte ja nie - und machte sich dann mit der Rohrzange ans Werk. ,,Brian, Liebling, das trifft sich gut, dann können wir beide mal miteinander reden!„ Oh mein Gott, er war gefangen! Eingeklemmt zwischen Abfluß und Spüle gab es keine Chance auf ein Entkommen. Es half nichts: er mußte seiner Mutter zuhören! ,,Darling, du bist alt genug, um zu wissen, was du tust. Zugegeben, so hatte ich mir das mit deiner ersten Freundin nicht vorgestellt. Aber die Jugend von heute ist in vielen Dingen schneller, als es zum Beispiel dein Dad und ich waren.„ Brian grinste. Bei seinen Eltern hatte es acht Monate gedauert, bis sie sich das erste Mal auch nur geküßt hatten, und ob sie vor ihrer Ehe jemals miteinander geschlafen hatten, bezweifelte er doch stark. Immerhin war dies nicht die Rede, die er befürchtet hatte. ,,Du weißt natürlich, daß ihr verhüten müßt, nicht wahr? Dir muß ich doch sicherlich nicht erklären, was alles geschehen kann, wenn ihr das vergeßt. AIDS, Schwangerschaft, Geschlechtskrankheiten, ...„
Also doch! Was konnte es demütigenderes geben, als auf dem Boden zu liegen und seiner Mutter über Verhütung zuhören zu müssen? Gut, daß sie seinen roten Kopf nicht sehen konnte. Schon bereute er, die Sicherung herausgedreht zu haben. So ein kleiner Stromschlag hätte die Sache doch deutlich abgekürzt. ,,Ach, Brian, da ist noch etwas. Nächste Woche ist doch dein Geburtstag. Hast du dir schon überlegt, was du machen willst? Oder sollen wir wieder zur Oma fahren und Plätzchen essen? Vielleicht kommt deine kleine Freundin ja mit?„
,,Nein!„, rief Brian. ,,Ich meine, nein, fahren wir nicht zu Grandma. Ich bin doch kein Baby mehr. Ich möchte eine Party geben.„ Am liebsten würde er natürlich mit Amy ganz alleine feiern, aber ob seine Mutter da mitspielen würde? Also blieb nur die Flucht nach vorne, um einerseits nicht zu Grandma zu müssen, andererseits den Tag mit Amy verbringen zu können. ,,Ich gehe gleich zu den Chases rüber und lade Angela ein. Vielleicht ist Rickie auch da. Und Danielle kann von mir aus auch mitkommen.„ Na, da hatte er sich ja eine schöne Suppe eingebrockt. Dabei haßte er Partys! Aber er hätte alles getan, um seiner Mum zu entkommen. Erwartungsgemäß ließ sie ihn auch bald darauf in Ruhe. Doch nun hatte er die Organisation seiner Geburtstagsparty am Hals. Himmel! Als er mit dem Abfluß fertig war und sich gewaschen hatte, machte er sich auf den Weg zu den Chases. Wie so oft stand die Türe offen.
,,Hallo, ist jemand zu Hause?„
Mrs. Chase blickte um die Ecke. ,,Oh, es ist Brian Krakow.
Na sieh mal an, was gibt es denn?„
,,Ist Angela da?„
,,Nein. Oh, doch, sieh nur, sie kommt gerade, mit diesem Rickie.„ Tatsächlich, in diesem Moment kamen Angela und Rickie vom Krankenhaus zurück. Angela war noch ganz benommen von der Nachricht, die sie dort erfahren hatten. Sharon ging es wieder schlechter. ,,Mum, wußtest du, daß Sharon ...„ ,,Jaja, Darling, Camille war doch gestern hier, erinnerst du dich nicht? Würdest du bitte deine Schwester holen, wir wollen zu Abend essen. Rickie, Brian, eßt doch mit uns, ja?„ Angela wollte gerade erklären, was sie erfahren hatten, als Rickie sie unterbrach.
,,Geh nur nach oben und hole Danielle. Du kannst dich auch gleich ein bißchen frisch machen, du siehst ja total fertig aus. Ich erkläre deiner Mum alles.„ Er war so ein Goldschatz!
Angela lief die Treppe hinauf. ,,Danielle, komm, es gibt Abendessen!„ Keine Reaktion.
Angela blickte kurz in Danielles Zimmer, wo sich ihre Schwester aber offensichtlich nicht aufhielt. ,,Danielle, ich warne dich, wenn du dich wieder in mein Zimmer gewagt hast! Doch auch Angelas Zimmer war leer. Ebenso das Badezimmer und das Schlafzimmer der Eltern. Wo hatte sie sich nur wieder versteckt? Das sah Danielle gar nicht ähnlich, normalerweise war sie pünktlich zu Hause und übte fleißig auf ihrer Klarinette, die sie erst vor kurzem von ihrem Dad bekommen hatte. Angela versuchte ihr Glück noch einmal in Danielles Zimmer. Außer daß es ungewöhnlich aufgeräumt aussah, fiel ihr nichts auf. Doch, da auf dem Bett! Auf dem Kopfkissen lag ein Zettel, fein säuberlich gefaltet, der ihr zunächst nicht aufgefallen war, weil Kissen und Zettel die gleiche Farbe hatten. Angela öffnete ihn und las, was Danielle in ihrer zierlichen Handschrift geschrieben hatte. ,,Mum? Mum, bitte komm schnell! Es geht um Danielle!!!
Doch sie tat es nicht. So sehr sie es wollte, etwas hielt sie zurück. Im Grunde genommen hatte sie gar keinen Anspruch mehr auf Jordan. Sie war es gewesen, die ihre Beziehung beendet hatte. Und sie war es gewesen, die sich erst vor ein paar Stunden Hals über Kopf in Sean verliebt hatte. Sie war nicht mehr dieselbe, sie hatte Erfahrungen gesammelt und verarbeitet. Nun, vielleicht noch nicht vollständig verarbeitet, doch immerhin so weit, daß sie ihrem ersten Impuls bei Jordans Anblick nicht nachgab. ,,Angela? Bist du das? Wer ist da neben dir?„
,,Ich bin mit Rickie hier.„
,,Woher wußtet ihr, wo ich bin?„
,,Wir waren auf der Suche nach ...„, setzte Angela an, doch Rickie unterbrach sie. ,,Wir waren auf der Suche nach dir, Jordan„, vollendete er. ,,Wir haben im Radio von einem Verkehrsunfall gehört.„ ,,Ah, der Unfall.„
Angela war überrascht. Sie wußte, daß Jordan nie Nachrichten hörte. Er bevorzugte die reinen Musiksender, die auf das überflüssige Geplapper zwischen den Songs verzichteten. Wie konnte er von dem Unfall wissen? Jordan war nun aufgestanden und kam langsam auf die beiden zu. Dabei mußte er an einem Fenster vorbei, durch dessen zerbrochenes Glas das Licht von draußen wie ein Schwert die Schatten zerriß. Angela zuckte zusammen. ,,Oh mein Gott, Jordan, du blutest!„
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Rayanne hatte es satt. Seit Stunden saß sie hier an der Straße, und nichts passierte. Die Whiskyflasche, die sie zum Trost dabei hatte, war noch in demselben Zustand wie heute morgen, ungeöffnet. Es kam ihr billig vor, sich in Alkohol zu flüchten. Zu oft hatte sie das gemacht, wenn es ihr gut ging und wenn es ihr schlecht ging. Eigentlich ständig, denn sie kannte nur die beiden Stimmungsextreme. ,,Verdammt, was mache ich hier?„, murmelte sie vor sich hin. Dann stand sie ruckartig auf und schleuderte die Flasche gegen die Hauswand, die sie eine halbe Ewigkeit angestarrt hatte. Sie hatte einen Entschluß gefaßt. Sie wollte mit Angela und Rickie reden, ihnen erklären, was passiert war. Und dann zu Sharon ins Krankenhaus. Davor fürchtete sie sich insgeheim. ,,Ach was, die Pute ist selbst Schuld„, redete sie sich ein. Zuerst mußte sie aber unbedingt nach Hause! Sie steckte noch immer in den Klamotten, die sie gestern abend nach der Aufführung getragen hatte. Im Gefängnis hatte sie auch keine Gelegenheit gehabt, sich umzuziehen, natürlich nicht.
Als Rayanne das Appartement erreicht hatte, in dem sie seit fast zehn Jahren mit ihrer Mutter lebte, hörte sie schon von draußen zwei Stimmen, die miteinander laut diskutierten. Na, ,,streiten„ war wohl das bessere Wort dafür. Rayanne lauschte an der Tür, wer weiß, vielleicht waren schon wieder die Bullen da, um sie erneut einzusperren? Davon hatte sie erstmal genug. ,,Was denkst du dir eigentlich, Pete? Du hast uns verlassen, du hast mich und vor allem deine Tochter im Stich gelassen. Und jetzt stehst du plötzlich hier. Was ist denn mit dieser dummen Kuh, die dir so wichtig war? Wie hieß sie noch, Sarah, Susan, Annemarie?„ ,,Stefanie.„ ,,Genau, Stefanie mit dem dicken Hintern und den prallen Brüsten. Stefanie, die dir wichtiger war als ich und als Rayanne. Geh doch zu ihr und weine ihr etwas vor!„ ,,Wir sind seit zwei Jahren geschieden. Laß mich endlich einmal ausreden, Amber! Ich bin nicht wegen dir gekommen, ich will auch kein Geld von dir, obwohl ich es dringend brauchen könnte. Die Steuerfahnder wollen mich einfach nicht in Ruhe lassen. Sogar bis in die Entziehungskur haben sie mich verfolgt. Aber ich hatte auch viel Zeit, um nachzudenken. Vor allem über das, was ich durch mein Verhalten versäumt habe. Ich will mit Rayanne reden. Ich will sie sehen und ich will ihr endlich der Vater sein.„ ,,Dafür ist es zu spät„, schaltete sich Rayanne ein. Wie aufs Stichwort trat sie in das Appartement, als ihr Name fiel. ,,Du bist für mich so fremd wie jeder andere Kerl auf der Straße. Vater? Ich habe keinen Vater mehr. Mein Vater ist vor zehn Jahren gestorben!„ ,,Rayanne, wie kannst du so etwas sagen!„, verteidigte sich Pete Graff, der von dem plötzlichen Auftauchen seiner Tochter aus dem Konzept gebracht wurde. ,,Gestern hast du dich doch gefreut, mich zu sehen.„ ,,Gestern war ich total daneben, da war mein Körper noch voller Adrenalin vom Theaterstück. Aber heute sehe ich klar. Ich will mit dir nichts zu tun haben, verstehst du? Zehn Jahre lang habe ich dich nicht gesehen. Zum Geburtstag und zu Weihnachten eine Karte, ein bißchen Geld, das wars. So verhält sich doch kein Vater. So beschissen würde sich mein Dad jedenfalls nicht verhalten!„ Rayanne drehte sich auf der Stelle um und rannte zur Tür hinaus. Schnell, damit niemand sehen konnte, daß ihr die Tränen in die Augen geschossen waren. Sie wollte einfach nur noch weg, fort, mit niemandem mehr sprechen. Ihre Eltern waren so überrascht, daß sie nicht daran dachten, ihr nachzulaufen. Amber mußte sich setzen. ,,Siehst du jetzt, was du angestellt hast? Du hast die letzte Chance bei ihr verspielt. Du wirst sie nie wiedersehen, Pete, dafür sorge ich!„
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,,Danielle, bring endlich den Mülleimer nach draußen! Und dann räum dein Zimmer auf, das sieht aus wie im Schweinestall!„ Patty Chase verlor allmählich die Nerven. Dabei wußte sie ganz genau, daß es nicht Danielle war, die sie aufregte, sondern der Gedanke, der sich immer wieder in ihren Kopf einschlich. Was ist mit Graham los? Sie hatte diese Person, diese Hallie Lowenthal, schon lange im Verdacht, hinter Graham her zu sein. Doch bislang war sie der Überzeugung gewesen, daß Graham nicht umfallen würde. Wenn sie ehrlich zu sich selbst war: Zweifel hatte sie schon gehabt. Doch an Halloween hatten sie diese umwerfende Nacht gehabt, seitdem war sie sich ihres Mannes sicherer als je zuvor. Und nun das! Patty versuchte verzweifelt, die Starke zu spielen. Diese Rolle war sie gewöhnt. Als Frau im harten Konkurrenzkampf der Druckereien hatte sie sich durchzusetzen gelernt, hatte sie eine gewisse Härte gelernt, und sie war erfolgreich damit. Zum Teufel, es wäre doch gelacht, wenn sie nicht mit der gleichen Härte ihre Privatangelegenheiten regeln konnte. Graham hatte sie betrogen, Graham mußte ausziehen, Graham muß in die Scheidung einwilligen. Scheidung? War es das, was sie wirklich wollte? Immer wieder landete sie bei diesem einen Wort. Scheidung. Achtzehn Jahre Ehe durch einen Richterspruch beendet. Sie würde zumindest keine finanziellen Schwierigkeiten haben. Für die Kinder wäre es schwieriger. Gut, Angela zeigte sich in der letzten Zeit schon sehr erwachsen, fast war es zuviel des Guten. Sie würde jedenfalls vernünftig reagieren. Aber Danielle, hm, ihre Jüngste war doch noch sehr anhänglich. Sie brauchte ihren Vater. Würde es ihr genügen, ihn nur alle zwei Wochen zu sehen? ,,Verdammt, Graham, wie konntest du nur?„, sagte sie laut vor sich hin, während sie versuchte, das Wohnzimmer sauber zu machen.
Nein, so einfach war es nicht, sich zu lösen. Graham war der Mann, mit dem sie ihr Leben verbringen wollte. Er gehörte zu ihr, wie sie zu ihm gehörte. Vielleicht war es nicht nur seine Schuld. Sie mußte hart arbeiten und hatte oft keine Zeit für die Familie. Lange Zeit hatte sie ihren Mann nicht so unterstützt, wie es für eine Ehefrau angebracht war. Sie hatte ihn völlig unterschätzt, ihm nichts zugetraut. Das Familienleben war zur Routine geworden, gar nicht zu sprechen von ihrem Sex. ,,Außerdem bin ich alt.„ Vielleicht zu alt für Graham? Männer hatten es so viel leichter. Sie wurden nicht älter, sondern reifer und dadurch attraktiver. Kein Wunder, daß Hallie sich ihn schnappen wollte. Patty setzte sich auf die Couch und schüttelte den Kopf. Wie hatte es nur passieren können, vor ihren Augen, ohne daß sie etwas merkte. Sie mußte blind gewesen sein. Aber so leicht würde es diese Person nicht haben. Patty faßte einen Entschluß: sie würde um ihn kämpfen! ,,Du wirst dein blaues Wunder erleben„, sagte sie laut und hieb mit der geballten Faust auf den Tisch. Danielle, die ihre Mutter heimlich durch das Treppengeländer beobachtet hatte, zog sich erschrocken zurück.
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Eine blutige Spur zog sich durch Jordan Catalanos Gesicht. Sie begann gleich unter seinem Haaransatz an der Stirn, lief an der Nase entlang über Mund und Kinn und verlor sich am Hals, wo sein Hemd begann. Auf Angelas entsetzten Ausruf hin blieb Jordan mitten im Licht stehen und faßte sich an die Stirn. Langsam zog er die Hand herunter, um das Ergebnis seiner Untersuchung zu betrachten. Tatsächlich, Blut. Die Wunde war also wieder aufgegangen. ,,Ich dachte, du weißt von dem Unfall?„, sagte Jordan. Nun war Angela verwirrt. Also war Jordan doch an dem Unfall beteiligt gewesen? Aber er stand doch hier, vor ihr, und im Radio war die Rede davon gewesen, daß der jugendliche Fahrer schwer verletzt im Krankenhaus lag. ,,Welchen Unfall meinst du denn?„, fragte Rickie. ,,Jetzt weiß ich gar nichts mehr! Was ist denn passiert, nachdem du uns bei den Chases abgesetzt hast?„ ,,Ich habe dich mit diesem Typen gesehen, Angela. Dann bin ich ins Auto gestiegen und so rumgefahren. An irgend so einer Kreuzung steht neben mir einer, den ich mal bei Tino gesehen habe, und drückt beim Anfahren aufs Gas. Ich dachte, der will ein Rennen, und bin hinterher. So ging das an jeder Ampel weiter, mal war er vorne, mal ich. Dann kamen wir an die Kreuzung vor dem Let‘s Bolt, ihr wißt schon.„ Angela nickte. Mit dem Let‘s Bolt hatte sie so ihre Erfahrungen. ,,Diesmal war er wieder schneller„, fuhr Jordan in seiner Erzählung fort. ,,Aber er war zu schnell. Sein Auto brach hinten aus, er konnte es nicht mehr einfangen und geriet auf die andere Straßenseite. Da waren plötzlich diese Radfahrer, eine ganze Gruppe. Sie flogen durch die Gegend, und überall war Blut. Ich habe so fest gebremst, daß ich mit dem Kopf gegen das Lenkrad geknallt bin. Dann war alles dunkel. Als ich aufwachte, sah ich drüben die Polizei und viele Krankenwagen. Mit den Bullen wollte ich nichts zu tun haben, also habe ich meinen Wagen gestartet und bin losgefahren. Irgendwann stand ich dann vor dem Lagerhaus und bin reingegangen. Und nun seid ihr da.„
Für einen Moment wußten die drei nicht, was sie sagen sollten und wie es weitergehen sollte, bis Rickie das Schweigen brach. ,,Kannst du fahren, Jordan? OK. Und dein Auto, ist das noch in Ordnung? Gut, dann fahren wir alle zusammen ins Krankenhaus. Ange und ich wollten sowieso dorthin, um Sharon zu besuchen, und du kannst dort deine Wunde verarzten lassen. Du mußt denen ja nicht erzählen, wie es zu der Verletzung kam. Los, gehen wir!„ Auf der Fahrt ins Krankenhaus wollte kein richtiges Gespräch aufkommen. Jordan hatte alle Mühe, sich auf den Straßenverkehr zu konzentrieren, während das Blut zwar langsam, aber doch stetig aus seiner Wunde tropfte. Angela hatte genügend Themen zum Nachdenken. Sean oder Jordan, irgendwann müßte sie eine Wahl treffen. Sie dachte, es wäre so einfach, aber mit jedem Moment, den sie neben Jordan saß, wurde es schwieriger. Außerdem war Angela wieder einmal erstaunt, wie umsichtig ihr Freund Rickie war. Er wußte immer, was zu tun ist. Und er war so einfühlsam! Er saß hinten im Wagen, betrachtete Angela und Jordan, aber er nervte nicht mit Fragen, wie es ein Brian oder eine Rayanne getan hätten. Als sie das Krankenhaus erreicht hatten, wurde Jordan gleich in die Notaufnahme verwiesen. Weil die Behandlung wohl länger dauern würde, verabschiedeten sie sich voneinander.
Angela und Rickie machten sich nun auf den Weg zum Empfang. ,,Wir möchten gerne zu Sharon Chersky. Sie ist gestern hier eingeliefert worden.„ ,,Chersky, Chersky, hmmm. Einen Moment bitte.„ Die junge Dame am Empfang blätterte durch einige Dokumente, blickte immer wieder auf den Computerbildschirm und sah sehr verzweifelt aus. ,,Es tut mir leid, ich finde keine Chersky, Sharon, in meinen Unterlagen. Sind Sie sicher, daß sie hier eingeliefert wurde?„ Angela war sich sicher. Ihre Mum hatte ihr das erzählt, und die wiederum hatte die Information von Camille, Sharons Mutter. ,,Nein, ich kann nichts über sie finden. Vielleicht fragen Sie Dr. Sellers, der hatte gestern abend Dienst. Ah, dort drüben kommt er gerade!„ Angela und Rickie liefen auf den kleinen, etwas rundlich wirkenden Mann zu, auf den die Empfangsdame sie aufmerksam gemacht hatte. ,,Dr. Sellers? Wir suchen unsere Freundin Sharon Chersky. Wissen Sie, wo wir sie finden?„ ,,Oh, das Mädchen mit der Schlägerei? Es tut mir leid, Sie können nicht zu ihr, nur Verwandte haben Zutritt. Ihr Zustand hat sich überraschend verschlechtert. Wir mußten sie auf die Intensivstation verlegen. Mehr darf ich nicht sagen. Bitte, entschuldigen Sie mich, ich muß weiter ...„
* * *
Brian war es peinlich, nach Hause zu kommen. Heute morgen hatte seine Mutter ihn mit Amy zusammen im Bett erwischt. Dabei hatte er gedacht, daß seine Eltern gar nicht daheim seien!Die änderten auch ständig ihre Pläne. Seine Mum war sichtlich überrascht gewesen, vielleicht sogar schockiert, doch sie hatte versucht, die Situation zu überspielen. Vor Amy hatte sie vermutlich keine Szene machen wollen. Das kommt bestimmt jetzt, dafür umso heftiger, dachte sich Brian. ,,Mum, Dad, ich bin zu Hause!„, rief Brian, als er die Türe aufschloß und eintrat. ,,Mum, wo bist du? Ist keiner da?„ ,,Oh, Brian, du bist es!„ Die Stimme seiner Mutter kam aus der Küche. ,,Komm, hilf mir mal, der Abfluß scheint verstopft zu sein.„ Nicht schon wieder! Tausendmal hatte Brian seiner Mutter erklärt, daß sie nicht alle Abfälle in den Abfluß werfen sollte, weil der Müllzerkleinerer nicht soviel Kraft hat, um Knochen und Gläser zu verarbeiten. Die Folge war eine regelmäßige Verstopfung sämtlicher Abflüsse. ,,Warte, Mum, laß mich das machen.„
Brian schaltete zunächst die Sicherung aus - man wußte ja nie - und machte sich dann mit der Rohrzange ans Werk. ,,Brian, Liebling, das trifft sich gut, dann können wir beide mal miteinander reden!„ Oh mein Gott, er war gefangen! Eingeklemmt zwischen Abfluß und Spüle gab es keine Chance auf ein Entkommen. Es half nichts: er mußte seiner Mutter zuhören! ,,Darling, du bist alt genug, um zu wissen, was du tust. Zugegeben, so hatte ich mir das mit deiner ersten Freundin nicht vorgestellt. Aber die Jugend von heute ist in vielen Dingen schneller, als es zum Beispiel dein Dad und ich waren.„ Brian grinste. Bei seinen Eltern hatte es acht Monate gedauert, bis sie sich das erste Mal auch nur geküßt hatten, und ob sie vor ihrer Ehe jemals miteinander geschlafen hatten, bezweifelte er doch stark. Immerhin war dies nicht die Rede, die er befürchtet hatte. ,,Du weißt natürlich, daß ihr verhüten müßt, nicht wahr? Dir muß ich doch sicherlich nicht erklären, was alles geschehen kann, wenn ihr das vergeßt. AIDS, Schwangerschaft, Geschlechtskrankheiten, ...„
Also doch! Was konnte es demütigenderes geben, als auf dem Boden zu liegen und seiner Mutter über Verhütung zuhören zu müssen? Gut, daß sie seinen roten Kopf nicht sehen konnte. Schon bereute er, die Sicherung herausgedreht zu haben. So ein kleiner Stromschlag hätte die Sache doch deutlich abgekürzt. ,,Ach, Brian, da ist noch etwas. Nächste Woche ist doch dein Geburtstag. Hast du dir schon überlegt, was du machen willst? Oder sollen wir wieder zur Oma fahren und Plätzchen essen? Vielleicht kommt deine kleine Freundin ja mit?„
,,Nein!„, rief Brian. ,,Ich meine, nein, fahren wir nicht zu Grandma. Ich bin doch kein Baby mehr. Ich möchte eine Party geben.„ Am liebsten würde er natürlich mit Amy ganz alleine feiern, aber ob seine Mutter da mitspielen würde? Also blieb nur die Flucht nach vorne, um einerseits nicht zu Grandma zu müssen, andererseits den Tag mit Amy verbringen zu können. ,,Ich gehe gleich zu den Chases rüber und lade Angela ein. Vielleicht ist Rickie auch da. Und Danielle kann von mir aus auch mitkommen.„ Na, da hatte er sich ja eine schöne Suppe eingebrockt. Dabei haßte er Partys! Aber er hätte alles getan, um seiner Mum zu entkommen. Erwartungsgemäß ließ sie ihn auch bald darauf in Ruhe. Doch nun hatte er die Organisation seiner Geburtstagsparty am Hals. Himmel! Als er mit dem Abfluß fertig war und sich gewaschen hatte, machte er sich auf den Weg zu den Chases. Wie so oft stand die Türe offen.
,,Hallo, ist jemand zu Hause?„
Mrs. Chase blickte um die Ecke. ,,Oh, es ist Brian Krakow.
Na sieh mal an, was gibt es denn?„
,,Ist Angela da?„
,,Nein. Oh, doch, sieh nur, sie kommt gerade, mit diesem Rickie.„ Tatsächlich, in diesem Moment kamen Angela und Rickie vom Krankenhaus zurück. Angela war noch ganz benommen von der Nachricht, die sie dort erfahren hatten. Sharon ging es wieder schlechter. ,,Mum, wußtest du, daß Sharon ...„ ,,Jaja, Darling, Camille war doch gestern hier, erinnerst du dich nicht? Würdest du bitte deine Schwester holen, wir wollen zu Abend essen. Rickie, Brian, eßt doch mit uns, ja?„ Angela wollte gerade erklären, was sie erfahren hatten, als Rickie sie unterbrach.
,,Geh nur nach oben und hole Danielle. Du kannst dich auch gleich ein bißchen frisch machen, du siehst ja total fertig aus. Ich erkläre deiner Mum alles.„ Er war so ein Goldschatz!
Angela lief die Treppe hinauf. ,,Danielle, komm, es gibt Abendessen!„ Keine Reaktion.
Angela blickte kurz in Danielles Zimmer, wo sich ihre Schwester aber offensichtlich nicht aufhielt. ,,Danielle, ich warne dich, wenn du dich wieder in mein Zimmer gewagt hast! Doch auch Angelas Zimmer war leer. Ebenso das Badezimmer und das Schlafzimmer der Eltern. Wo hatte sie sich nur wieder versteckt? Das sah Danielle gar nicht ähnlich, normalerweise war sie pünktlich zu Hause und übte fleißig auf ihrer Klarinette, die sie erst vor kurzem von ihrem Dad bekommen hatte. Angela versuchte ihr Glück noch einmal in Danielles Zimmer. Außer daß es ungewöhnlich aufgeräumt aussah, fiel ihr nichts auf. Doch, da auf dem Bett! Auf dem Kopfkissen lag ein Zettel, fein säuberlich gefaltet, der ihr zunächst nicht aufgefallen war, weil Kissen und Zettel die gleiche Farbe hatten. Angela öffnete ihn und las, was Danielle in ihrer zierlichen Handschrift geschrieben hatte. ,,Mum? Mum, bitte komm schnell! Es geht um Danielle!!!