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The So-called FortsetzungsFanFiction

Teil 17 "Celebration I" von Sascha


AKT 1

"Ist er noch mit dieser Amy zusammen, hm?" fragte Sharon und versuchte sich mühsam nach vorne zu beugen, um am Vorhang vorbei einen Blick auf Rayanne werfen zu können. Rayanne war gerade mit weitaufgerissenen Augen aus dem Sessel gesprungen und hatte zunächst einige Probleme, sich zu orientieren. Sie blickte sich fassungslos und im höchsten Masse irritiert um. Es dauerte einige Augenblicke, bis ihr wieder einfiel, dass sie bei Sharon im Krankenzimmer war. Angewidert versuchte sie die Erinnerung an den Traum abzuschütteln.

Wie auch schon die vergangenen Tage lag Sharon in diesem spartanisch ausgestatteten Raum, der jedoch noch vor wenigen Tagen mit medizinisch-technischen Überwachungsgeräten vollgestopft war. Doch nach ihrer letzten Operation hatte sich ihr Zustand endlich verbessert, sie hatte das künstliche Koma gut überstanden und es ging ihr täglich besser.

"Alles in Ordung mit Dir?" fragte nun ausgerechnet Sharon und blickte die ziemlich bleiche Rayanne skeptisch an. "Ich könnte es jetzt gar nicht gebrauchen, wenn Du hier 'nen Koller bekommst und umkippst!" fügte sie hinzu.

Rayanne hatte den größten Teil ihrer Freizeit der letzten Tage bei Sharon verbracht - zur deutlichen Überraschung aller Beteiligten. Meist war sie direkt nach - und oft auch schon während - der Schule ins Three Rivers Memorial Hospital gekommen und hatte den Nachmittag an Sharon's Seite verbracht. Manchmal hatte sie sogar einige Unterrichtsstunden mitprotokolliert, bis Sharon sie einmal darauf aufmerksam machte, dass sie eigentlich fast in keinem Fach in der gleichen Klasse waren. Rayanne hatte aber niemals begründet, warum sie Sharon so regelmässig besuchte - sie vermied das Thema konsequent und Sharon wollte auch gar nicht genauer nachhaken.

"Ja,ja, ich hatte nur ... 'nen ... seltsamen ..." stammelte Rayanne extrem Rayanne-untypisch und wuselte etwas ziellos in ihrer Umhängetasche herum. "... Traum. ... Oder sowas."

"Du kannst hier schlafen?" fragte Sharon überrascht und liess sich wieder in die Horizontale zurückfallen - etwas zu schnell, denn sie verzog ihr Gesicht vor Schmerzen. "Ich krieg hier jede Nacht kaum ein Auge zu." seufzte sie und starrte an die Decke.

"Bei diesen grün-blau-geschwollenen Dinger, die Du als Augen bezeichnest, ist das auch kein Wunder" meinte Rayanne grinsend und begann auf einem roten Fruchtgummi herumzukauen, den sie aus den Untiefen ihrer Umhängetasche hervorgezaubert hatte.

* * *

"Kannst du es nicht sehen?" jammerte Danielle und schielte krampfhaft in Richtung Wohnzimmerdecke, während Patty hochkonzentriert über Danielle's Gesicht gebeugt die Pupille ihrer Tochter musterte. "Darling, da ist nichts. Vielleicht hast du eine Augenbraue ins Auge bekommen - aber ich kann nichts sehen."

"Und was ist, wenn ich jetzt blind werde?" fragte Danielle mit einem schrillen Ton, im höchsten Masse beunruhigt, während sie wieder zum Spiegel lief, um das Auge selbst noch mal genau zu inspizieren.

"Man kann durch sowas nicht blind werden, Danielle."
"Sicher??" jammerte die jüngste Tochter der Chases.
"Sei nicht so ein Waschlappen, Danielle." grummelte Angela, die auf der Couch sass und sich durch ein ätzend-langweiliges Buch lesen musste. Sie hasste Schullektüre.

"Ich bin kein ...! Ich bin bald blind!" antwortete Danielle energisch und schrill, den Tränen nahe.

"Jau, das wäre übel. Stumm wäre besser." schnauzte Angela zurück, ohne auch nur eine Sekunde von ihrem Buch aufzusehen.

"Angela! Sei nicht so aggressiv!" zischte Patty und strich Danielle über die Haare. "Schatz, keine Sorge, dein Auge ist nur ein wenig irritiert, weil du jetzt soviel mit dem Finger gerieben hast."

"Aber was ist, wenn es doch was Schlimmes ist? Daddy ist nicht da! Niemand könnte mir helfen!"

Patty brauchte etwas länger als sonst, um darauf zu antworten. Diese Pause bemerkte auch Angela, die vorsichtig mit hochgezogegen Augenbrauen über die Kante ihres Buches schielte.

"Danielle, erstens wirst Du garantiert *nicht* blind werden und zweitens kommen wir Frauen auch ohne Graham gut zurecht." erwiderte Patty schliesslich möglichst ruhig. "Richtig, Angela?"

"Richtig." antwortete Angela leise.
Patty und Danielle hatten das Wohnzimmer schon längst verlassen, als Angela immer noch mit einem verlorenen Blick auf die ein und dieselbe Seite des Buches starrte, ohne auch nur ein Wort zu lesen, das dort geschrieben war. "Richtig." murmelte sie erneut still vor sich hin.

* * *

"Falsch!" rief Brian fast schon triumphierend und wedelte mit der Quizkarte in der Hand. "Diese Zellen heissen Mitochondrien!" fügte er hinzu und rückte Amy's Figur um zwei Plätze zurück.

"Echt?"
"Echt." meinte er und warf die Quizkarte auf einen kleinen Stapel neben sich.

Amy blickte ihn skeptisch an. "Du bist Dir aber im klaren, dass das hier nur ein Spiel ist, oder?" meinte sie mit einem seltsamen Unterton.

Brian's triumphierendes von-Ohr-zu-Ohr-Grinsen verschwand schlagartig und spurlos aus seinem Gesicht. Verlegen schob er die Quizkarte auf dem Stapel zurecht. "Ich bin nur etwas aufgekratzt."

"Geez, Brian, etwa wegen deinem Geburtstag? Mach dir keine unnötigen Sorgen. Rayanne und ich werden alles perfekt organiseren, du brauchst dich um nichts zu kümmern." erwiderte Amy und griff nach der nächsten Quizkarte.

"Genau das ist es ja, was mir Sorgen macht." murmelte Brian.

Amy ignorierte seine Bemerkung. "Also, wer schaffte als erster Spieler in der NFL drei Touchdowns in einem Spiel?"

* * *

"Graham?" Patty blickte ihren Mann erstaunt an, als er durch die Eingangstür hereinkam. Auch er blickte sie überrascht an, er hatte nicht damit gerechnet, dass sie um diese Zeit schon daheim sein würde. "Ich hatte noch den Schlüssel -- und da es noch so früh am Abend ist ... ich wollte noch ein paar Sachen holen." meinte er und deutete auf die grosse leere Sporttasche, die unter den linken Arm geklemmt hatte.

"Oh. Okay. Ehm, Du weisst ja, wo ..." meinte Patty. "Oder soll ich mitko...?"

"Nein, nein. Nicht nötig. Ich komme schon zurecht." murmelte Graham und ging an ihr vorbei auf die Treppe zu. In diesem Moment kam ihm auch schon Danielle entgegengestürmt. Heftig umarmte sie ihn und rief unzählige Male vor übertriebener Freude jauchzend "Daddy, Daddy!", während sie Patty gleichzeitig ein paar eiskalte Seitenblicke zuwarf. Lächelnd begrüsste Graham seine jüngste Tochter und hob sie in die Luft.

Währenddessen sass Angela nachwievor bewegungslos auf dem Sofa und vergrub sich scheinbar noch tiefer in ihr Buch, obwohl sie in den letzten 10 Minuten keine einzige Seite umgeblättert hatte.

* * *

"Und was stand darin?" fragte Rickie und blickte Mr.Katimiski beunruhigt an.

Rickie, Richard Katimiski und Joseph sassen am Esstisch und hatten gerade das Abendessen beendet. Richard hatte gerade von der Vorladung des Schulrates berichtet.

"Dass es eine offizielle, öffentliche Vorladung gibt, falls ich nicht stillschweigend kündigen würde. Ich habe mich ungebührlich in der Öffentlichkeit verhalten. Der Schulträger könne sowas nicht akzeptieren. Entweder ich kündige sofort oder es gibt disziplinarische Kosequenzen." meinte Katimiski mit trauriger Stimme. Joseph stand auf, ging um den Tisch herum und strich seinem Freund besänftigend über das Haar. "Sie können Dir nichts antun. Sie können Dir ... das Küssen nicht verbieten." meinte er.

Rickie nickte aufgeregt. "Das ist doch wohl eine Sauerei! Sowas können wir uns nicht bieten lassen! Wie können die nur ..." fauchte er.

"Schon gut." sagte Richard schliesslich und starrte mit leerem Blick auf den gedeckten Tisch. "Ich werde kündigen." meinte er dann.

"Den Teufel wirst Du tun!" rief Rickie wütend und besann sich sofort wieder "'Tschuldigung."

Katimski reagierte nicht. Nachdenklich starrte er vor sich hin.

"Was immer Du tust, es ist okay." sagte Joseph sanft und umarmte ihn. Rickie blickte die beiden irritiert an. Sollte das etwa alles gewesen sein?

Schliesslich stand Katimski auf und begann, den Tisch abzudecken. Er griff sich schweigend ein paar Teller und ging mit ihnen in die Küche. Auch Joseph griff sich ein paar Dinge, doch er wurde von Rickie am Arm festgehalten. "Warum tut er das? Warum wehrt er sich nicht? Es ist doch sein Recht! Er liebt doch seinen Job an der Liberty High! Ich verstehe das nicht! Wir müssen ihn dazu bringen, dass..." begann er drängend.

Joseph unterbrach hin. "Rickie, lass es. Er weiss, was er tut, und er weiss auch, warum. Er hat bestimmt seine Gründe."

"Aber ..."
"Nichts aber. Es ist seine Entscheidung und wir sollten ihn dabei unterstützen, zu was immer er sich auch entschliesst." Damit war für Joseph das Thema erledigt. Er folgte Katimski in die Küche. Rickie blieb frustriert und ratlos am Esstisch zurück.

* * *

Patty schloss Danielles Zimmertür hinter sich. Sie hatte sich Danielle's Auge ansehen wollen, doch sie hatte nur behauptet, dass Daddy sich das schon angesehen hätte und alles in Ordnung sei. "So einfach war das also" dachte Patty sarkastisch. "Daddy ist der Mann, der alles kann." murmelte sie vor sich hin.

Auf dem Weg zurück zur Treppe hörte sie, wie Graham im Schlafzimmer in den Schränken rumorte. Die Tür war nur angelehnt. Sie zögerte lange, schliesslich nahm sie tief Luft und öffnete die Tür zum Schlafzimmer - Graham stopfte gerade ein letztes Hemd in die bereits ziemlich volle Tasche und zog den Reissverschluss der Sporttasche zu, nur unter hohem Widerstand erfüllte der Reissverschluss seine Pflicht. Schliesslich sah Graham Patty im Türrahmen stehen.

"Ich bin schon fertig. Gleich werde ich dich nicht mehr belästigen. Alles hat nicht hineingepasst, diese T-Shirts lasse ich noch da. Ich hoffe, das macht dir nichts aus." sagte er kühl und zog seine Jacke an.

"Ja. Sicher. Kein Pro--" begann Patty und trat an die Bettkante heran und spielte nervös und unbewusst mit dem Kragen eines der Hemden, die Graham zurücklassen würde.

"mh. Okay." unterbrach Graham sie, nahm die Tasche und zögerte noch einen Augenblick, als wollte er sich noch einmal einen letzten Blick über das Schlafzimmer gleiten lassen.

Patty nickte verlegen und unbehaglich zugleich. Ein ewig langer, schweigender Augenblick entstand. Jeder wartete darauf, dass der andere etwas sagte. Etwas, das Graham dazu bringen konnte, seine Sachen wieder auszupacken und dazubleiben. Etwas, dass all das was geschehen war wieder ungeschehen machte.

"Okay." wiederholte schliesslich Graham ernüchtert, zögerte noch einen Augenblick, dann wendete er sich ab und verliess den Raum. Wenige Sekunden später hörte Patty, wie die Haustür zuschlug.

Entmutigt starrte sie auf die geschlossene Schlafzimmertür. Dann knüllte sie eines von Graham's T-Shirts zwischen ihren Fäusten zusammen und warf es wütend quer durch das Schlafzimmer.

* * *

AKT 2 : DER NÄCHSTE TAG.

Rickie, Angela und Delia standen im Schulflur neben ihren Spinds. Betroffen lauschten die beiden Girls den schlechten Neuigkeiten, die Rickie berichtete. "... und er machte keinerlei Anzeichen, etwas dagegen zu unternehmen. Er zuckte einfach mit den Schultern und meinte 'Okay, so sei es'. Das ist doch verrückt! Wie kann man sich sowas nur gefallen lassen. Ich meine, wir leben doch in den 90ern. Wir können die Zeitung anrufen! Und Radio, Fernsehen ...! Selbst Joseph sagte nichts dazu..."

"Das ist wirklich sehr ungerecht. Wie kann der Rektor bloss sowas tun!? Du musst Mr. Katimski unbedingt dazu bringen, dass er sich wehrt." meinte Deila.

In diesem Moment stiess Rayanne zur Gruppe. "Wer soll sich wehren?" fragte sie und stellte sich kaugummikauend neben die drei.

Rickie erzählte auch ihr, was am Vorabend geschehen war.
"Ist doch klar, warum Katimski das tut." meinte Rayanne daraufhin und beugte sich hinunter, um ihre Schuhe neu zu binden.

"Ja ... und? Warum?" sagten die anderen drei beinahe gleichzeitig.

Rayanne blickte genervt auf. "Ich bitte euch, wenn ihr noch nicht mal das schnallt, wie wollt ihr es dann jemals aufs College schaffen?" fragte sie und erntete einige ungeduldige und ärgerliche Blicke. "Okay, okay, dann stellt euch mal vor, das Ganze würde gross breitgetreten, mit Presse und so. Was würde dann wohl auch 'rauskommen?" Wieder nur verständnislose Blicke. Seufzend fuhr Rayanne fort. "Es würde auch herauskommen, dass Mr.Katimski und sein schwuler Freund einen Jungen bei sich aufgenommen haben ... klingelt es jetzt bei euch? ... einen armen, kleinen, beeinflussbaren Jungen, der plötzlich auch gewisse sexuelle Neigungen entwickelt. Gerafft?" raunzte Rayanne und beugte sich wieder herab, um seelenruhig ihre Schuhe weiterzubinden.

Angela und Delia starrten sich entsetzt an, Rickie blickte ratlos und beschämt auf den Fussboden.

"Sie würden Dich in ein Heim stecken, oder?" fragte Delia.
"Nicht nur das. Vermutlich würden sie ihn sogar 'umerziehen' ... 'seht nur, dieser Junge trägt Make-Up!'" säuselte Rayanne. "Und ich möchte gar nicht wissen, welcher Ärger dann noch auf Katimski und seine bessere Hälfte zukommt..."

"Ich ... Ich ... Ich muss zur... Klasse." sagte Rickie leise und ging davon.

Betroffen schauten ihm Delia und Angela hinterher, bis ihre Gedankengänge abrupt von Rayanne unterbrochen wurden...

"So, hat unser Poloshirt-Liebling schon sein *spezielles* Geschenk entdeckt?" fragte sie grinsend.

Angela sah sie entsetzt an. "Ohmeingott, Ihr habt doch nicht etwa *jetzt* schon...??"

Ein breites Grinsen war die einzige Antwort.

* * *

Skeptisch betrachtete Brian, wie sich Sean's Pickup näherte. Amy's grosser Bruder flösste ihm immernoch eine gehörige Portion Respekt ein, nur zu frisch war noch die Erinnerung an einen gewissen Fausthieb vor einigen Wochen. Doch seitdem hatte sich die Beziehung zwischen den beiden deutlich verbessert - naja, sie wechselten immerhin ein oder zwei Worte pro Tag, ohne sich an die Gurgel zu springen. Offenbar hatte Amy all ihr Überredungstalent aufgewendet, um ihren Bruder umzustimmen. Allerdings konnte Brian immer noch nicht ganz nachvollziehen, was da eigentlich genau zwischen Sean und Angela abging. Waren sie nun ein Paar oder nicht?

Brian schüttelte den Kopf, als wollte er einen lästigen Gedanken abschütteln. Nein, darüber wollte er sich nicht mehr den Kopf zerbrechen. Angela war nicht mehr auf der Tagesordnung des "neuen Brian". Erst recht nicht auf der Tagesordnung eines sechzehnjährigen Brian. "Sechzehn". Hm. Unruhig trat er von einem Fuss auf den anderen.

Der Pickup rumpelte auf die Bordsteinkante und der Motor erstarb. Wie üblich hatte Sean seinen Wagen halb auf dem Bürgersteig und halb auf der Strasse "geparkt". Brian blickte aus den Augenwinkeln umher, ob sich bei irgendeinem Nachbarn der Vorhang bewegte oder sonst ein Anzeichen von Leben zeigte. Wahrscheinlich würde sich Mrs.Krababbel von schräg gegenüber demnächst wieder bei Brian's Mutter über die "Jugend von heute" beschweren, was wieder zu endlosen Diskussionen über Pro und Contra von antiautoritärer Erziehung am Krakow'schen Esstisch führen würde. Warum mussten seine Eltern auch *ausgerechnet* beide Psychologen sein? Alleine beim Gedanken an seine Eltern rollte Brian mit den Augen.

"Hi Brian" grummelte es aus dem Wageninneren entgegen. Es war Sean. Okay, Sean's Anwesenheit war innerhalb der zulässigen Parameter. Aber Amy war *nicht* da. Brian überlegte, ob er etwas sagen sollte. Hatte er gestern abend irgendwas falsch verstanden, als Amy ihm zusicherte, dass Sean Amy und Brian zur Schule mitnehmen würde? Brian blätterte im Geiste durch die Erinnerungen des gestrigen Abend wie ein Kapitän durch ein Logbuch. Vielleicht hatte Amy mit ihm Schluss gemacht? Vielleicht hatte er irgendwas gesagt oder getan, was sie verärgert hatte? Brian rechnete tief in sich drin immer noch damit, dass sich diese Beziehung eines Tages urplötzlich in Rauch auflösen würde und alles würde sich als grosses psychologisch-empirisches Forschungsprojekt herausstellen mit ihm als Haupt-Versuchsperson. "Psycho-Soziale Extremsituationsforsuchung bei Teenagern" oder so. Und was sagte es eigentlich über ihn aus, wenn er seine Beziehung zu Amy mit Attributen wie "zulässige Parameter" und "Forschungsprojekt" bedachte?

"Schwachsinn!" schrie Brian's innere Stimme - deutlich gereizt. Seine innere Stimme hatte heute offenbar auch einen schlechten Tag.

Wenn Amy mit ihm Schluss gemacht hätte, dann würde ihr Bruder wohl kaum hier stehen und ihm auffordernd und mittlerweile auch schon deutlich genervt die Wagentüre offenhalten.

Zögernd stieg Brian ein. Er begrüsste Sean mit einem dürftigen "Hi" und schwang sich auf den klobigen Beifahrersitz. Es war einer diese Sitze, die extrem stark gefedert waren und bei jeder stärkeren Bewegung hinundher wippten. Das konnte Brian gar nicht gebrauchen. Als er heute morgen aufgestanden war und die Geburtstagskarte von Grossmutter auf dem Nachttischschränkchen neben seinem Bett entdeckt hatte (welche vermutlich seine Mutter mitten in der Nacht dahingestellt hatte - Brian hasste es, wenn seine Mutter in sein Zimmer kam, während er schlief. Verletzte das nicht seine Intimsphäre oder sowas?), hatte bereits der Boden heftige Bewegungen unter seinen Füssen vollzogen. Auch unter Dusche war Brian mehrmals der festen Überzeugung, mitten im ersten West- Pittsburgh-Erdbeben zu stecken, bis er feststellte, dass er vor Nervösität zitterte.

Sean warf indes wortlos den Wagen an. Brian fiel wieder ein, dass er noch nicht zu einer Entscheidung gekommen war, ob Amy's Abwesenheit es wert war, Sean in ein Gespräch zu verwickeln. Sean setzte den Pickup ein paar Meter zurück, schaltete in den ersten Gang und raste davon, nicht ohne *nochmals* über die Bordsteinkante zu rattern und somit alles was nicht niet- und nagelfest im Pickup verankert war, heftig durchzuschütteln.

Sie hatten schon ein gutes Stückchen Weg hinter sich gebracht, als Sean etwas einfiel. "Hey, Du hast doch heute Geburtstag." meinte er, fast schon so, als wäre es seine Aufgabe Brian an wichtige Termine in seinem Leben zu erinnern. Brian setzte sein bestes unverbindliches Lächeln auf, das er heute zuwege bringen konnte und welches auch schon beim unvermeidlichen Mutter-wünscht-Sohn-mit-tausenden-Küssen-alles-Gute-zum-Geburtstag-Prozedere gute Dienste geleistet hatte. "Jepp." fügte er noch nickend hinzu.

"Na, dann herzlichen Glückwunsch und so."

* * *

Knappe zehn Minuten später trafen Sean und Brian vor der Liberty High ein. Brian hatte in der Zwischenzeit erfahren, dass Amy nicht mitgekommen war, weil sie sich nicht "wohlgefühlt" hatte. Warum Sean aber dennoch bereitgewesen war, Brian mitzunehmen, blieb ein Rätsel.

Amy ging ja wie ihre Brüder auf die Dickenson High - eine Schule im eher südlichen Distrikt von Three Rivers und für Sean bedeutete es immer einen gewissen Umweg, wenn er die beiden zur Schule brachte und etra für Brian noch zur Liberty fuhr. Naja, der Umweg hatte wohl einen Namen. Angela.

Aber ab heute würde das ja eh alles vorbei sein, schliesslich würde Brian ab heute mittag selbst mit dem eigenen Auto fahren dürfen.

Genau diese Tatsache fiel ihm wieder ein, als er gerade die Stufen zum Eingang der Schule hochschlenderte. All die anderen würden ihn darum beneiden und ihn um Mitfahrgelegenheiten anbetteln, denn Sharon und Angela hatten erst in zweieinhalb Monaten Geburtstag. Und es war doch sehr unwahrscheinlich, dass die Chases oder Cherskis genügend Geld für einen Zweitwagen hätten.

Brain hatte also allen Grund, gut gelaunt zu sein, als er die Flure zwischen all den Teenagern entlangging und sich seinem Spind näherte. Am liebsten hätte er all den kleinen Frischlingen persönlich erklärt, dass er jetzt 16 war und sein *eigenes* Auto hatte. Endlich war er nicht mehr das unterste Glied in der Liberty-High-Hau-Drauf-Kette.

Sein Stimmungsbarometer kam allerdings in ernste Turbulenzen, als er sich seinem Spind näherte. Ihm war das seltsam dekorierte Türchen schon aus einiger Entfernung aufgefallen, aber er hätte nie damit gerechnet, dass es sich dabei wirklich um "seine" Nummer 381 handelte. Mittlerweile hatte er sich dem fraglichen Objekt bereits soweit genähert, dass er genauer erkennen konnte, worauf auch jeder andere vorbeigehende Schüler genauer schaute. Dutzende von kleinen Blümchen waren sorgsam an der gesamten Tür befestigt wurden, schier endlose bunte Bändchen hingen an allen Seiten, Luftballons, Sticker, kleine Glücksbringer, Fluffy- und Tuffy-Bärchis, kurz: Es schien, als hätte jemand einen Kitsch- Geschenkeladen ausgeraubt und an Brian's Spind geklebt.

Fieberhaft begann er zu überlegen.

Sollte er einfach daran vorbeigehen und so tun, als würde es nicht sein Spind sein? Ging nicht, er brauchte "English 311" für Katimski in der ersten Stunde. Ausserdem hatten ihn sowieso schon einige andere Schüler erkannt und grinsten ihn hämisch und erwartungsvoll an. Also lief er erstmal rot an, entfernte mit einem künstlich aufgesetzten Lächeln ein paar Blümchen, Schleifchen und vor allem die grossen Blümchen-Buchstaben "B","R","I","A" und "N".

Er drehte sich nochmal um, in der Hoffnung, Angela oder Rayanne irgendwo stehen zu sehen, aber ausser einer Horde Schüler aller Altersklassen, die betont langsam und grinsend oder staunend vorbeigingen, konnte er niemanden erkennen.

Dann öffnete er kurzentschlossen die Spindtür und mit aufgerissenen Augen sah er, wie das Unheil seinen Lauf nahm.

* * *

Mr. Katimski stand mit herunterhängenden Schultern vor der Tür des Direktoren-Sekretariats. In der Hand hielt er einen kleinen weissen Umschlag. Der Umschlag war nicht sehr dick, es befand sich nur ein einziges Blatt Papier darin. Und Katimski kannte jedes einzelne Wort auf diesem Blatt. Eigentlich waren es nicht viele Worte - aber das machte die Sache nicht viel einfacher. Er hatte noch den ganzen Abend an dem Brief gesessen und lange nachdem Rickie zu Bett gegangen war, hatte er den Umschlag verschlossen und auf seine Arbeitsmappe für den nächsten Morgen gelegt.

Er wusste, dass es so besser war. Für alle Beteiligten.

Mr Katimiski nahm tief Luft und öffnete die Tür zum Sekretariat. Nur Mrs. Kryzanowski stand da und warte wohl auch auf die Rückkehr einer der Sekretariats-Mitarbeiterinnen.

"Guten Morgen, Richard. Auch schon so früh am Tag mit Papierkram beschäftigt?" begrüsste sie ihn munter und redete auch gleich weiter, ohne eine Antwort abzuwarten. "Ausflugsgenehmigungen" meinte sie und wedelte mit einem Stapel beschriebener Blätter. "Man glaubt gar nicht, welchen Aufwand man betreiben muss, um eine Handvoll Schüler zu einer Besinnlichkeits-Tagung zu 'entführen'. Bestimmt telefoniert Mrs Kramer da drin gerade mit dem FBI und fordert eine komplette Durchleuchtung und Überwachung meiner Gewohnheiten an. Wahrscheinlich müssen die Jungs erst meine Wohnung durchsuchen, bevor ich hier 'nen verfluchten Stempel für die verfluchte Versicherung bekomme." meinte sie und blickte zweifelnd in Richtung des Raumes, in den Mrs Kramer wohl verschwunden war. "Aber ich erzähle wieder viel, nicht wahr Richard?... Mein Gott Richard, wie sehen sie denn aus? Haben sie heute Nacht nicht geschlafen oder was?"

Eigentlich wollte Mr Katimiski ihr nicht den Grund für seine Anwesenheit mitteilen, aber dann fiel ihm ein, dass es ja doch alle eh erfahren würden, da kam es auf ein paar Stunden auch nicht mehr an."

Tonlos erwiderte er "Ich kündige." und wies auf den Umschlag, den er in seiner Hand hielt.

Kryzanowski begann zu lachen. "Der war gut. Für einen Sekundenbruchteil hätte ich es sogar geglau... Sie _machen_ doch eine Scherz, _oder_? Das kann doch nur ein Scherz sein!?" meinte sie, doch ihr Lachen war schnell erstorben, als sie Katimskis bittere Miene beobachtete.

"Sie wollen ... wirklich ... _kündigen_?" fragte sie schliesslich erneut ungläubig.

Katimski nickte schwach.

"Aber um Gottes Willen, warum denn? Sie sind noch einer der wenigen vernünftigen Leute in diesem Lehrstab! Wie sollen wir denn ohne Sie auskommen? Und warum??" sprudelte sie hervor, die Ausflugsgenehmigungen längst vergessen.

"Es ... es ... ist halt so. Die Umstände... ich will mich ... neu orientieren." stammelte er vor sich hin.

"Moment -- waren diese Gerüchte etwa wahr?" meinte Kryzanowski erschrocken. "Über sie und diese ... diesen _Zwischenfall_ bei der Theater-Aufführung? Dieser Kuss?"

Wieder nickte Katimski.

"Ja, mein Gott, und deshalb wollen sie kündigen?? Sind sie denn verrückt? Warum wollen sie ihre Karriere hinwerfen - nur wegen dieser spiesserischen Kleinigkeit?" Mrs Kryzanowski war jetzt deutlich in Fahrt.

"Es ist so besser für mich. Und die Schule." meinte Katimski leise.

"_Besser_für_die_Schule_??" Mrs Kryzanowski wurde lauter. "Und was ist mit all den Kindern? Diese Theater-Aufführung war grandios! Ohne Sie hätte Liberty High so etwas nie zustande gebracht! Und sie sind doch erst ein halbes Jahr hier!".

Fassunglos und aufgeregt fuchtelte sie in der Luft herum. Sie blickte Richard immer noch ungläubig an.

In diesem Moment kam Mrs Kramer zurück. "Mrs Kryzanowski, alles in Ordnung, ich habe den Stempel gefunden. Wenn Sie mir jetzt die Dokumente geben, werde ich sie gleich ..."

Sie wurde abrupt unterbrochen. "Das kann warten. Mrs Kramer, ich komme nachher wieder. Jetzt muss ich erst mal mit diesem Herrn hier ein ernstes Wörtchen reden." meinte sie und griff sich im Hinausgehen Katimski's Arm und zog ihn energisch hinter sich her.

Verblüfft starrte Mrs Kramer erst auf die Tür, die krachend hinter den beiden ins Schloss flog und dann auf den Stapel von Dokumenten, auf deren Abstempelung Mrs Kryzanowski so lange gewartet hatte.

Achselzuckend schob sie sie beiseite.

Dann horchte sie auf. War das etwa ein Feueralarm?

Es war der pure Horror. Vietnam, Golfkrieg, Tschernobyl, Teletubbies, nein, es gab nichts, was ähnliches Entsetzen bei Brian hätte hervorrufen können wie das, was ihm da aus dem Spind entgegenfiel. Zunächst purzelten etwa ein dutzend kleiner "Hab-mich-lieb"-Bärchies aus dem Schrank (die zudem sogar noch alle jeweils ein munteres "Böörr" beim Fallen von sich gaben), eine Mini-Konfetti-Kanone kontaminierte den Umkreis von etwa 2 Metern mit buntem Paierfetzchen, dazu hatte wohl ein kleiner Elektrokontakt automatisch beim Öffnen der Tür eine lautstarke ohrenbetäubende Sirene ausgelöst und eine grosse Signal-Lampe strahlte ein grelles, blinkendes, blaues Licht fast über den gesamten Flur aus und machte auch wirklich jeden Anwesenden auf die Vorgänge in Brian's Spind aufmerksam.

Und als wäre das nicht genug, blökte eine Stimme von Tonband plötzlich laut die Worte "Happy Birthday Briiiiiiaaaan!" in den Flur - gefolgt von dem unvermeidlichen Geburtstagsständchen.

Brian konnte seine Beine kaum noch spüren, während er fassungs- und regungslos dem Band lauschte und verblüfft hörte, wie allmählich der gesamte Flur begann, "Happy Birthday to you" mitzusingen. (auch wenn nur ein kleiner Teil Brian's Namen kannte)