The So-called FortsetzungsFanFiction
Teil 2 von Sascha "SAB" Beck
Da plötzlich liess der Ast auf dem er saß, ein deutliches und bedrohliches Knacks-Geräusch vernehmen. Seit nahezu sechs Jahren nutzte er nun schon diese Astgabel als Sitzgelegenheit und jetzt, zum ersten Mal überhaupt in der Geschichte der Holzverarbeitung musste *sein* Ast "Knacks" machen ! Vor Schreck herunterzufallen, liess er seine Nase los und im nächsten Moment nieste er auch schon sehr heftig. Das Resultat aus all diesen gleichgewichtsbeeinträchtigenden Überraschungen war, daß er schliesslich vor Schmerzen stöhnend auf dem Rasen lag, während einzelne Blätter und Rindeteilchen langsam auf sein Gesicht rieselten und das Kreischen zweier erschrockener Mädchen einige Hunde in der Nachbarschaft loskläffen liessen.
"Aargh ... BRIAN !!" schallte es Brian entgegen.
Sterben. Einfach nur Sterben. Hier und jetzt. Alternativ könnte auch unverzügliches Im-Boden-Versinken akzeptiert werden.
"Alles in Ordnung ? Was tut Dir weh ?"
Es dauerte eine gute Minute, bis Brian einsah, daß er nicht an diesem Frühsommerabend am Fusse eines Ahornbaumes sterben würde. Und auch die Naturgesetze hatten sich seit seinem Fall von der Astgabel nicht derart einschneidend verändert, daß sie ein "Im-Boden-Versinken" eines menschlichen Körpers ohne weiteres erlauben würden. Also öffnete er die Augen und blickte direkt in Angela's Gesicht, welches sich nicht einmal 50 Zentimeter über seiner Nasenspitze befand.
"Hi ... äh ... Angela. Wie geht's ?" brachte er heraus. "Das sollte ich *Dich* fragen. Alles in Ordnung ?" lautete die Gegenfrage der Angesprochenen, die sich neben Brian auf den Boden gekniet hatte und skeptisch seine Reaktionen beobachtete.
"Äh, jaja, ich hab nur das ... äh, ... Gleichgewicht verloren." Mühsam rappelte er sich auf und strich sich einige Blätter und kleine Ästchen von der Kledidung, während er mit einem kurzen Blick das unbekannte Mädchen musterte, das da mit hochgezogener Augenbraue neben Angela stand und ihn kritisch musterte.
"Das ist Brian, mein Nachbar. Er geht mit mir ab dem Herbst auf die gleiche High School. Er ist manchmal etwas ... nun ... tolpatschig." stellte Angela ihn vor, während auch sie wieder aufstand. "Brian, das ist Kathie aus New York. Ihre Eltern sind Urlaubsfreunde meiner Eltern und sind dieses Wochenende bei uns auf Besuch." fuhr sie fort.
"New York ... aha... grosse Stadt." meinte Brian und hatte sichtlich Probleme, ein möglichst relaxtes Image aufzubauen.
"Hallo Brian." sagte Kathie und grinste. Sie sah wirklich ziemlich gut aus - jedenfalls soweit Brian das beurteilen konnte. Sie hatte schulterlange, braune Haare und ein süsses Gesicht mit einer kleinen Stubsnase und --- sie nutzte Lippenstift. Dabei war sie doch nicht viel älter als Angela, höchstens erst 13, schätzte Brian.
"Wir kommen gerade von Sharon." sagte Angela in diesem Moment. "Oh, äh ... ja, ich hatte es mir beinahe schon, äh, ... gedacht." "Brian ? Ist wirklich alles in Ordnung ?" "Äh, ja, ich denke schon, ich weiss nicht ..." Noch irritierter schaute er Kathie an, die plötzlich anfing zu kichern. Angela blickte sie verwundert an, folgte ihrem Blick und begann nun auch zu lachen.
"Was ?" fragte Brian, total verunsichert.
"Dein ... äh ... Hintern guckt raus." brachten die beiden Mädchen unter heftigen Lachen hervor und zeigten auf Brian's Hose.
Entsetzt griff Brian an seinen Allerwertesten und statt des erwarteten Hosenstoffs berührte er nacktes Fleisch. Zwar war nicht sein Po zu sehen, aber die Rückseite seines linken Hosenbeines war bei seinem Fall von einem Ast aufgerissen worden. Ein kleiner Stoffetzen hing sogar noch oben am Baum.
"Ich ... ich ..." stotterte Brian und ging mit grossen Seitwärts-Schritten in Richtung des Hauses seiner Eltern, während er mit einer Hand seine Hose zusammenhielt.
Erst als er hinter einem Busch verschwunden war, wurde das Lachen der Mädels schwächer.
"Er ist süss." kicherte Kathie. Angela hörte auf zu lachen. "*Wie* bitte ?"
* * *
Es wurde ein ziemlich verrücktes Wochenende. Brian hatte zwar schon immer viel Spaß mit Sharon und Angela gehabt, aber Kathie war wahrhaftig ein unternehmungslustiges Energiebündel. Immer wieder fielen ihr die kuriosesten Unternehmungen ein und sie erzählte andauernd von ihrem spannenden Leben in New York. Die anderen lauschten dann immer beeindruckt. Brain wusste nicht, ob wirklich alles stimmte, was sie so erzählte, vor allem wenn sie von "ihrem festen Freund" sprach, hatte er doch arge Zweifel, aber im Grunde war das egal.
Am späten Sonntag-Nachmittag lagen die vier im Vorgarten der Chases und hatten einige Picknick-Utensilien um sich herum verstreut. Und endlich war es ihnen gelungen, die unentwegt nervende Danielle loszuwerden. Es hatte Angela's gesamtes Repertoire an Bitten, Flehen und Überredungskunst erfordert, um Patty davon zu überzeugen, daß Danielle nicht mit ihnenspielen konnte.
"Was sollen wir heute noch machen ?" fragte Kathie und drehte sich zu Angela um. "Keine Ahnung. Hier 'rumliegen ist doch auch klasse." "Ach nö. Mir ist langweilig. Wir sollten irgendwas spielen." "Und was ? Wir sind bereits meine gesamte Spielesammlung durch."
"Wie wäre es mit Flaschendrehen ? " fragte Sharon. "Klasse Idee !" rief Kathie und sprang auf, um nach einer leeren Flasche in ihrem Picknick-Korb zu suchen. "Flaschendrehen ? Worum geht's da ?" meinte Angela. "Wir setzen uns alle in einen Kreis und drehen die Flasche in der Mitte. Derjenige, auf den der Flaschenhals am Ende zeigt, muss entweder ein Geheimnis verraten oder eine unangenehme Sache tun." "Das Spiel finde ich blöd." murmelte Brian während er versuchte, Erdnüsse in die Luft zuwerfen und mit dem Mund aufzufangen. "Brian, Du bist ein Party-Pooper. Los, mach mit !" rief Sharon und warf mit einem kleinen Grasbüschel nach Brian. "Ey, ... Nein. Ich hab' keine Lust." "Brian, los mach schon, ohne Dich macht es keinen Spaß !" meinte Angela und stubste seinen Fuß an.
In diesem Moment hatte Kathie endlich eine fast leere Cola-Flasche gefunden. Sie trank noch schnell die letzten Tropfen und setzte sich in den Kreis zu den beiden anderen Mädels. Brian machte nach wie vor keine Anstalten, mitzuspielen. Irgendwie gefiel ihm der Sinn des Spiels nicht so gut. Es ging um Mutproben, soviel erkannte er, und er hasste Mutproben.
"Brian !?" fragte Kathie nur, mit einem zwitschernden Unterton in der Stimme. Das reichte, um Brian's Meinung zu ändern. "Nun gut, wenn ihr unbedingt wollt, dann mache ich halt mit." schnaufte er und setzte sich neben Kathie, die etwas zur Seite rückte. Angela und Sharon schauten sich verblüfft an.
Das Spiel plätscherte so vor sich hin, niemand traute sich, wirklich unfaire oder schwere Sachen zu fordern oder zu fragen. So wussten nach knapp 15 Minuten zwar alle, daß Angela immer Danielle's Spielsachen versteckte (vorzugsweise im Schlafzimmer ihrer Eltern) oder daß Sharon einmal Jodie Barsh's Socken angezündet hatte, weil sie sie immer in den Umkleideräumen der Turnhalle liegen liess, anstatt sie in ihren Spind zu räumen. Leider hatte sie anschliessend einige Schläge von Jodie und ihrer neuen seltsamen, ausgeflippten Freundin erhalten. Und Brian hatte zugegeben, daß er fast zwei Wochen lang vergessen hatte, seine Fische zu füttern und als sie dann starben, hatte er heimlich neue gekauft, damit seine Eltern ihn nicht für verantwortungslos hielten.
Doch schliesslich beendete die Flasche zum ersten Mal ihre Kreisbewegungen mit einer klaren Ausrichtung des Flaschenhalses in Richtung Kathie. Ein breites Grinsen erschien auf Angela's Gesicht, die in der Runde zuvor einen Autofahrer anhalten musste, um nach dem Weg zum Irrenhaus von Pittsburgh zu fragen. "Wahrheit oder Tat ?" fragte sie. "Wahrheit" kam es wie aus der Pistole geschossen von Kathie. "Also gut: Hast Du wirklich einen festen Freund ?" Katie zog die Augenbrauen hoch. "Sicher. Warum nicht ? Ich bin schliesslich schon dreizehn." Sharon und Angela blickten sie kritisch an. "Er heisst Greg und ist schon fünfzehn." ergänzte sie stolz. Doch bevor die anderen weitere Fragen stellten, gab Kathie der Flasche einen heftigen Schubs. Nach einigen Rotationen zeigte der Flaschenhals auf Sharon. Seufzend meinte sie nur "Wahrheit." "Warum nehmen immer nur alle Wahrheit ?" grummelte Kathie und grübelte über eine möglichst interessanten Frage. "Hast Du schon mal einen Jungen geküsst ?" "Wass'n das für 'ne blöde Frage ?" empörte sich Sharon. "Keine Gnade. Antworten !" grinste Brian. "Krakow, halt Du Dich da 'raus." giftete Sharon zurück. Kathie nickte. "Brian hat Recht, Du musst antworten." "Okay, okay, nein, ich habe noch keinen Jungen geküsst. Blödes Spiel." Angela und Kathie lachten. "Es war schliesslich Deine Idee." meinte Angela, während Sharon sich wieder zu der Flasche hinunterbeugte.
Als nächstes war Brian wieder dran, auch er wählte Wahrheit. Das wurde Angela nun zu langweilig. "Ach nehmt doch mal Tat ! Ich bin die einzige, die sich bisher getraut hat !" Die anderen nickten zustimmend. "Hopp, Brian, trau Dich!" meinte Sharon mit einem fiesen Lächeln. Brian war noch nie der Typ gewesen, der lange bei seiner Meinung blieb, also gab er nach. "Okay, denn eben Tat. Mir egal." "Gut, küss' Kathie !" forderte Sharon rachelüstern und verschränkte die Arme demonstrativ vor der Brust.
"Wie bitte ??!" Jetzt war es Brian, der sich beschwerte. Er sprang auf. "Was ist denn das für eine dumme Idee ?" meinte er uns schaute Kathie mit einem kurzen, unsicheren Seitenblick an. Doch sie saß noch lächelnd neben ihm und schaute ihn auffordernd an. "Keine Gnade, Krakow." zitierte Sharon und sah ihn auch mit einem ermutigenden Blick an. Nur Angela betrachte die Szene stumm mit offenen Mund und hochgezogenen Augenbrauen. "Mach schon Krakow, oder bist Du ein Angsthase ?" reizte ihn Sharon. "Und was ist, wenn ich nicht will ?" fragte er zurück. "Dann werde ich dich von nun an immer Feigling nennen !" antwortete Sharon. Brian schaute sie wütend an. "Feigling !" rief Sharon. "Feigling, Feigling, Feigling !"
Brian riss der Geduldsfaden und er wusste auch keinen Ausweg aus dieser peinlichen Situation. Schliesslich nahm er all seinen Mut zusammen und beugte sich hinunter zu Kathie und küsste sie. Er presste seine Lippen direkt auf ihren Mund, so wie er es schon einige Male in diesem Hollywood-Filmen gesehen hatte. Es dauerte nur wenige Sekundenbruchteile, doch in jenem Moment, in dem sich seine und Kathies Lippen berührten, spürte er etwas seltsames. Ein neues Gefühl, aufregend, erschreckend und dennoch angenehm und schön zugleich.
Vielleicht rührte dieses Gefühl aber auch daher, daß er in diesem Augenblick den grössten Schrecken seines Lebens erfuhr.
Denn genau in diesem Moment öffnete sich die Haustür der Chases und Kathie's Eltern zusammen mit Patty und Graham betraten die Veranda. Es dauerte nicht lange bis sie bemerkten, was da im Vorgarten gespielt wurde -- und sie waren alles andere als begeistert. "Kathie !" schrien Katies Eltern. "Brian !!" rief Patty. Ein unglaublicher Schreck durchfuhr Brian - er verlor die Balance und fiel auf Kathie, wobei sie sich beide heftigst die Stirn stossen. Doch da waren beide Elternpaare auch schon herbei und trennten die beiden Teenager die sich mit schmerzverzerrten Gesicht die Hand vor die Strin hielten.
Für einen ewig langen Moment herrschte absolute Ruhe. Alle suchten nach Worten, um die Situation zu entspannen - allen voran die Eltern, während Angela und Sharon sich grinsend anschauten und nur schwer ein Lachen unterdrücken konnten.
* * *
Brian und Angela sassen schweigend auf der Veranda und blickten in Richtung Strasse. Kathie war gerade gemeinsam mit ihren Eltern weggefahren und Sharon hatte sich auch gerade eben verabschiedet. Nach ein paar Minuten brach Angela schliesslich das Schweigen. "Du magst sie, nicht wahr ?" "Wen ?" "Kathie. Wen sonst." "Äh, ... sie ist nett." meinte Brian, nicht ganz sicher was er sagen sollte.
Das war bisher nicht oft vorgekommen, eigentlich konnten er und Angela immer über alles sprechen. Und Angela war auch eine der wenigen Personen, in deren Gegenwart er frei von der Seele reden ohne zu stottern. Doch dieses Mal war es anders. "Netter als ich ?" hakte Angela nach. "Wieso ... ich ... Du ... nein ..." Brian suchte verzweifelt nach Worten, doch er wusste nicht einmal, was er antworten wollte. "Du hast sie geküsst." "Aber das war doch nur ... Welche Rolle spielt das ? Wir beide sind doch Freunde, oder ?"
Angela blickte ihn stumm an. Brian lächelte sie vorsichtig an. Schliesslich lächelte auch sie zurück. "Freunde." sagte sie und reichte ihm ihre Hand. "Für immer." fügte sie hinzu. "Freunde." bestätigte Brian erleichtert und griff nach ihrer Hand. Beide lachten. "Und nun sollten wir aber ..." begann Angela, doch sie wurde von Patty unterbrochen,die in diesem Moment die Veranda betrat. "Brian, ich denke, daß Deine Eltern bestimmt schon essen wollen. Sie warten sicherlich schon." sagte sie und schaute Brian auffordernd an. Etwas überrascht liess er Angela's Hand los und stand auf. "Äh, ja, Mrs. Chase, ich werde dann lieber mal 'rüber gehen". Angela's Eltern hatten ihn eigentlich immer zum Essen eingeladen, ihm kam es schon etwas seltsam vor, daß sie ihn nun fortschickten, doch nach dem Unglück mit Kathie war es ihm auch ganz lieb, daß er heute abend nicht mit Mister und Mrs Chase an einem Tisch sitzen musste. Also verabschiedete er sich höflich, winkte Angela zu und ging durch den Vorgarten auf die Strasse zu. Dabei ging er auch an dem Baum vorbei, unter dem er vor nicht mal dreissig Minuten zum ersten Mal ein Mädchen geküsst hatte. Er beschloss, sich diese Stelle genau zu merken.
"Angela, Liebes, wir müssen miteinander reden. Dringend." hörte er Angela's Mutter noch leise, während er fortging. "Worüber ?" fragte Angela. "Ehm. Nun, Du bist jetzt 12 Jahre alt und Dad und ich, wir haben uns gedacht ..." Patty schüttelte den Kopf und begann neu. "Weisst Du, es gibt da eine Sache zwischen Mann und Frau, weisst Du, wenn sich zwei Menschen ganz doll lieb haben, dann ... ehm ... dann..." Mehr konnte Brian nicht verstehen, eine kurze Windböe zerriss die Worte, er hörte nur noch einzelne Silben. Er drehte sich noch einmal um und blickte in Angela's Gesicht, das geradezu um Hilfe zu flehen schien. Neben ihr saß Patty mit einem hochkonzentrierten Gesichtsausdruck, ihre Hände hielten Angela's linke Hand umschlossen und streichelten sanft den Handrücken.
Irgendwie ahnte er, daß sich nun einiges ändern würde. Er wusste nicht, was passiert war, aber irgendetwas *war* passiert.
* * *
All diese Erinnerungen. Damals war er erst sechs und bei der Sache mit Kathie gerade mal 12 Jahre alt gewesen. Er versuchte sich vorzustellen, wie er als 20jähriger über die Zeit als 15jähriger nachdenken würde. Brian schüttelte den Kopf und blickte auf seine Uhr. Nur noch knapp zwei Stunden bis Mitternacht. Und Angela war immer noch nicht zuhause. Das würde mit Sicherheit Zoff mit ihren Eltern geben.
Er begann darüber nachzudenken, ob *seinen* Eltern wohl auffiel, daß er nicht in seinem Bett lag. Unwahrscheinlich. Und selbst wenn es ihnen auffiel, sie würden es vermutlich sogar als positiven Schritt in die Unabhängigkeit von der elterlichen Fürsorge werten. Brian schnaufte verächtlich.
Allmählich machte ihm die Kälte dieser eigentlich noch relativ milden Februar-Nacht zu schaffen. Er zog den Verschluss seiner Jacke noch etwas höher und verschränkte die Arme vor seiner Brust. Warum saß er eigentlich hier ? Was glaubte er zu erreichen, wenn Angela hier auftauchen und ihn in eiskalter Nacht auf dem Baum entdecken würde ? Sie müsste ja denken, daß er nun *total* verrückt geworden sei, vor allem nach der Szene, die er sich vorhin geleistet hatte.
Ein letztes Mal blickte er von seinem Aussichtspunkt im Baum die Strasse hinauf und herunter, doch von Jordan's Plymouth, geschweige denn von Angela war nichts zu sehen. Wie üblich um diese Zeit lag die Strasse still und verlassen da. "So ist das Leben - mal flach und mal eben." murmelte er vor sich hin und sprang von der Astgabel herunter. Sein Rad neben sich herschiebend ging er auf das Haus seiner Eltern zu, während er mehrmals gähnte.
Langsam trat Angela aus dem Sichtschutz des Busches heraus, sorgfältig darauf achtend, daß Brian sie nicht entdecken konnte und und sah gedankenverloren zu, wie er vorsichtig die Haustür öffnete und kurz darauf im Haus verschwand. Sie ging noch ein paar Schritte, bis sie mitten auf der Strasse stand. Dort blieb sie einige Minuten stehen, starrte einfach nur auf das Haus der Krakows. Schliesslich wandte sie sich um und suchte nach ihrem Haustürschlüssel.
Sie würde heute Nacht über einiges nachdenken müssen.
* * *
"Wo ist Brian ?"
Sharon klang ziemlich verzweifelt. Sie blickte Angela, Rickie, Delia und Rayanne fragend an. Doch alle vier zuckten nur ahnungslos mit den Schultern. Die kleine Gruppe stand im Schulflur in der Nähe von Rayanne's Spind.
"Ich habe ihn seit gestern abend nicht gesehen. Er war auch heute morgen nicht im Bus - das hat mich auch schon gewundert." meinte Angela, die sich nicht daran erinnern konnte, daß Brian in den letzten 4 Jahren einmal nicht zum Unterricht erschienen war. (Abgesehen, von dem Winter vor zwei Jahren, als die ganze Region in einem gigantischen Schneechaos versunken war und kein Bus mehr fuhr.) "Nicht, daß ich auf ihn gewartet hätte oder so, oder ..., aber ..." Sie stammelte vor sich hin, während Rickie sie mit hochgezogener Augenbraue ansah. Mit einem entschlossenen "... er war nicht da." brachte Angela schliesslich ihren Satz zu Ende.
"Verflucht !" raunzte Sharon und stampfte mit dem Fuß auf. "Hey, Du hast eh keine Chance bei Krakow." sagte Rayanne und öffnete die Tür ihres Spinds. "Er ist schon mir verfallen." "Ha-ha. Deine Witze waren auch schon mal besser." erwiderte Sharon kurz. "Der PC im Yearbook-Raum läuft nicht mehr richtig. Ich komme nicht mehr an all die Texte 'ran, er bringt immer so eine dumme Fehlermeldung. Und da Brian sich ja etwas mit Computer ... Wisst ihr noch jemanden, der sich damit auskennt ?" fragte sie und blickte die anderen hoffnungsvoll an.
"Wesley soll auch ziemlich gut sein." meinte Rickie. "Welcher Wesley ?"
"Aargh ... BRIAN !!" schallte es Brian entgegen.
Sterben. Einfach nur Sterben. Hier und jetzt. Alternativ könnte auch unverzügliches Im-Boden-Versinken akzeptiert werden.
"Alles in Ordnung ? Was tut Dir weh ?"
Es dauerte eine gute Minute, bis Brian einsah, daß er nicht an diesem Frühsommerabend am Fusse eines Ahornbaumes sterben würde. Und auch die Naturgesetze hatten sich seit seinem Fall von der Astgabel nicht derart einschneidend verändert, daß sie ein "Im-Boden-Versinken" eines menschlichen Körpers ohne weiteres erlauben würden. Also öffnete er die Augen und blickte direkt in Angela's Gesicht, welches sich nicht einmal 50 Zentimeter über seiner Nasenspitze befand.
"Hi ... äh ... Angela. Wie geht's ?" brachte er heraus. "Das sollte ich *Dich* fragen. Alles in Ordnung ?" lautete die Gegenfrage der Angesprochenen, die sich neben Brian auf den Boden gekniet hatte und skeptisch seine Reaktionen beobachtete.
"Äh, jaja, ich hab nur das ... äh, ... Gleichgewicht verloren." Mühsam rappelte er sich auf und strich sich einige Blätter und kleine Ästchen von der Kledidung, während er mit einem kurzen Blick das unbekannte Mädchen musterte, das da mit hochgezogener Augenbraue neben Angela stand und ihn kritisch musterte.
"Das ist Brian, mein Nachbar. Er geht mit mir ab dem Herbst auf die gleiche High School. Er ist manchmal etwas ... nun ... tolpatschig." stellte Angela ihn vor, während auch sie wieder aufstand. "Brian, das ist Kathie aus New York. Ihre Eltern sind Urlaubsfreunde meiner Eltern und sind dieses Wochenende bei uns auf Besuch." fuhr sie fort.
"New York ... aha... grosse Stadt." meinte Brian und hatte sichtlich Probleme, ein möglichst relaxtes Image aufzubauen.
"Hallo Brian." sagte Kathie und grinste. Sie sah wirklich ziemlich gut aus - jedenfalls soweit Brian das beurteilen konnte. Sie hatte schulterlange, braune Haare und ein süsses Gesicht mit einer kleinen Stubsnase und --- sie nutzte Lippenstift. Dabei war sie doch nicht viel älter als Angela, höchstens erst 13, schätzte Brian.
"Wir kommen gerade von Sharon." sagte Angela in diesem Moment. "Oh, äh ... ja, ich hatte es mir beinahe schon, äh, ... gedacht." "Brian ? Ist wirklich alles in Ordnung ?" "Äh, ja, ich denke schon, ich weiss nicht ..." Noch irritierter schaute er Kathie an, die plötzlich anfing zu kichern. Angela blickte sie verwundert an, folgte ihrem Blick und begann nun auch zu lachen.
"Was ?" fragte Brian, total verunsichert.
"Dein ... äh ... Hintern guckt raus." brachten die beiden Mädchen unter heftigen Lachen hervor und zeigten auf Brian's Hose.
Entsetzt griff Brian an seinen Allerwertesten und statt des erwarteten Hosenstoffs berührte er nacktes Fleisch. Zwar war nicht sein Po zu sehen, aber die Rückseite seines linken Hosenbeines war bei seinem Fall von einem Ast aufgerissen worden. Ein kleiner Stoffetzen hing sogar noch oben am Baum.
"Ich ... ich ..." stotterte Brian und ging mit grossen Seitwärts-Schritten in Richtung des Hauses seiner Eltern, während er mit einer Hand seine Hose zusammenhielt.
Erst als er hinter einem Busch verschwunden war, wurde das Lachen der Mädels schwächer.
"Er ist süss." kicherte Kathie. Angela hörte auf zu lachen. "*Wie* bitte ?"
* * *
Es wurde ein ziemlich verrücktes Wochenende. Brian hatte zwar schon immer viel Spaß mit Sharon und Angela gehabt, aber Kathie war wahrhaftig ein unternehmungslustiges Energiebündel. Immer wieder fielen ihr die kuriosesten Unternehmungen ein und sie erzählte andauernd von ihrem spannenden Leben in New York. Die anderen lauschten dann immer beeindruckt. Brain wusste nicht, ob wirklich alles stimmte, was sie so erzählte, vor allem wenn sie von "ihrem festen Freund" sprach, hatte er doch arge Zweifel, aber im Grunde war das egal.
Am späten Sonntag-Nachmittag lagen die vier im Vorgarten der Chases und hatten einige Picknick-Utensilien um sich herum verstreut. Und endlich war es ihnen gelungen, die unentwegt nervende Danielle loszuwerden. Es hatte Angela's gesamtes Repertoire an Bitten, Flehen und Überredungskunst erfordert, um Patty davon zu überzeugen, daß Danielle nicht mit ihnenspielen konnte.
"Was sollen wir heute noch machen ?" fragte Kathie und drehte sich zu Angela um. "Keine Ahnung. Hier 'rumliegen ist doch auch klasse." "Ach nö. Mir ist langweilig. Wir sollten irgendwas spielen." "Und was ? Wir sind bereits meine gesamte Spielesammlung durch."
"Wie wäre es mit Flaschendrehen ? " fragte Sharon. "Klasse Idee !" rief Kathie und sprang auf, um nach einer leeren Flasche in ihrem Picknick-Korb zu suchen. "Flaschendrehen ? Worum geht's da ?" meinte Angela. "Wir setzen uns alle in einen Kreis und drehen die Flasche in der Mitte. Derjenige, auf den der Flaschenhals am Ende zeigt, muss entweder ein Geheimnis verraten oder eine unangenehme Sache tun." "Das Spiel finde ich blöd." murmelte Brian während er versuchte, Erdnüsse in die Luft zuwerfen und mit dem Mund aufzufangen. "Brian, Du bist ein Party-Pooper. Los, mach mit !" rief Sharon und warf mit einem kleinen Grasbüschel nach Brian. "Ey, ... Nein. Ich hab' keine Lust." "Brian, los mach schon, ohne Dich macht es keinen Spaß !" meinte Angela und stubste seinen Fuß an.
In diesem Moment hatte Kathie endlich eine fast leere Cola-Flasche gefunden. Sie trank noch schnell die letzten Tropfen und setzte sich in den Kreis zu den beiden anderen Mädels. Brian machte nach wie vor keine Anstalten, mitzuspielen. Irgendwie gefiel ihm der Sinn des Spiels nicht so gut. Es ging um Mutproben, soviel erkannte er, und er hasste Mutproben.
"Brian !?" fragte Kathie nur, mit einem zwitschernden Unterton in der Stimme. Das reichte, um Brian's Meinung zu ändern. "Nun gut, wenn ihr unbedingt wollt, dann mache ich halt mit." schnaufte er und setzte sich neben Kathie, die etwas zur Seite rückte. Angela und Sharon schauten sich verblüfft an.
Das Spiel plätscherte so vor sich hin, niemand traute sich, wirklich unfaire oder schwere Sachen zu fordern oder zu fragen. So wussten nach knapp 15 Minuten zwar alle, daß Angela immer Danielle's Spielsachen versteckte (vorzugsweise im Schlafzimmer ihrer Eltern) oder daß Sharon einmal Jodie Barsh's Socken angezündet hatte, weil sie sie immer in den Umkleideräumen der Turnhalle liegen liess, anstatt sie in ihren Spind zu räumen. Leider hatte sie anschliessend einige Schläge von Jodie und ihrer neuen seltsamen, ausgeflippten Freundin erhalten. Und Brian hatte zugegeben, daß er fast zwei Wochen lang vergessen hatte, seine Fische zu füttern und als sie dann starben, hatte er heimlich neue gekauft, damit seine Eltern ihn nicht für verantwortungslos hielten.
Doch schliesslich beendete die Flasche zum ersten Mal ihre Kreisbewegungen mit einer klaren Ausrichtung des Flaschenhalses in Richtung Kathie. Ein breites Grinsen erschien auf Angela's Gesicht, die in der Runde zuvor einen Autofahrer anhalten musste, um nach dem Weg zum Irrenhaus von Pittsburgh zu fragen. "Wahrheit oder Tat ?" fragte sie. "Wahrheit" kam es wie aus der Pistole geschossen von Kathie. "Also gut: Hast Du wirklich einen festen Freund ?" Katie zog die Augenbrauen hoch. "Sicher. Warum nicht ? Ich bin schliesslich schon dreizehn." Sharon und Angela blickten sie kritisch an. "Er heisst Greg und ist schon fünfzehn." ergänzte sie stolz. Doch bevor die anderen weitere Fragen stellten, gab Kathie der Flasche einen heftigen Schubs. Nach einigen Rotationen zeigte der Flaschenhals auf Sharon. Seufzend meinte sie nur "Wahrheit." "Warum nehmen immer nur alle Wahrheit ?" grummelte Kathie und grübelte über eine möglichst interessanten Frage. "Hast Du schon mal einen Jungen geküsst ?" "Wass'n das für 'ne blöde Frage ?" empörte sich Sharon. "Keine Gnade. Antworten !" grinste Brian. "Krakow, halt Du Dich da 'raus." giftete Sharon zurück. Kathie nickte. "Brian hat Recht, Du musst antworten." "Okay, okay, nein, ich habe noch keinen Jungen geküsst. Blödes Spiel." Angela und Kathie lachten. "Es war schliesslich Deine Idee." meinte Angela, während Sharon sich wieder zu der Flasche hinunterbeugte.
Als nächstes war Brian wieder dran, auch er wählte Wahrheit. Das wurde Angela nun zu langweilig. "Ach nehmt doch mal Tat ! Ich bin die einzige, die sich bisher getraut hat !" Die anderen nickten zustimmend. "Hopp, Brian, trau Dich!" meinte Sharon mit einem fiesen Lächeln. Brian war noch nie der Typ gewesen, der lange bei seiner Meinung blieb, also gab er nach. "Okay, denn eben Tat. Mir egal." "Gut, küss' Kathie !" forderte Sharon rachelüstern und verschränkte die Arme demonstrativ vor der Brust.
"Wie bitte ??!" Jetzt war es Brian, der sich beschwerte. Er sprang auf. "Was ist denn das für eine dumme Idee ?" meinte er uns schaute Kathie mit einem kurzen, unsicheren Seitenblick an. Doch sie saß noch lächelnd neben ihm und schaute ihn auffordernd an. "Keine Gnade, Krakow." zitierte Sharon und sah ihn auch mit einem ermutigenden Blick an. Nur Angela betrachte die Szene stumm mit offenen Mund und hochgezogenen Augenbrauen. "Mach schon Krakow, oder bist Du ein Angsthase ?" reizte ihn Sharon. "Und was ist, wenn ich nicht will ?" fragte er zurück. "Dann werde ich dich von nun an immer Feigling nennen !" antwortete Sharon. Brian schaute sie wütend an. "Feigling !" rief Sharon. "Feigling, Feigling, Feigling !"
Brian riss der Geduldsfaden und er wusste auch keinen Ausweg aus dieser peinlichen Situation. Schliesslich nahm er all seinen Mut zusammen und beugte sich hinunter zu Kathie und küsste sie. Er presste seine Lippen direkt auf ihren Mund, so wie er es schon einige Male in diesem Hollywood-Filmen gesehen hatte. Es dauerte nur wenige Sekundenbruchteile, doch in jenem Moment, in dem sich seine und Kathies Lippen berührten, spürte er etwas seltsames. Ein neues Gefühl, aufregend, erschreckend und dennoch angenehm und schön zugleich.
Vielleicht rührte dieses Gefühl aber auch daher, daß er in diesem Augenblick den grössten Schrecken seines Lebens erfuhr.
Denn genau in diesem Moment öffnete sich die Haustür der Chases und Kathie's Eltern zusammen mit Patty und Graham betraten die Veranda. Es dauerte nicht lange bis sie bemerkten, was da im Vorgarten gespielt wurde -- und sie waren alles andere als begeistert. "Kathie !" schrien Katies Eltern. "Brian !!" rief Patty. Ein unglaublicher Schreck durchfuhr Brian - er verlor die Balance und fiel auf Kathie, wobei sie sich beide heftigst die Stirn stossen. Doch da waren beide Elternpaare auch schon herbei und trennten die beiden Teenager die sich mit schmerzverzerrten Gesicht die Hand vor die Strin hielten.
Für einen ewig langen Moment herrschte absolute Ruhe. Alle suchten nach Worten, um die Situation zu entspannen - allen voran die Eltern, während Angela und Sharon sich grinsend anschauten und nur schwer ein Lachen unterdrücken konnten.
* * *
Brian und Angela sassen schweigend auf der Veranda und blickten in Richtung Strasse. Kathie war gerade gemeinsam mit ihren Eltern weggefahren und Sharon hatte sich auch gerade eben verabschiedet. Nach ein paar Minuten brach Angela schliesslich das Schweigen. "Du magst sie, nicht wahr ?" "Wen ?" "Kathie. Wen sonst." "Äh, ... sie ist nett." meinte Brian, nicht ganz sicher was er sagen sollte.
Das war bisher nicht oft vorgekommen, eigentlich konnten er und Angela immer über alles sprechen. Und Angela war auch eine der wenigen Personen, in deren Gegenwart er frei von der Seele reden ohne zu stottern. Doch dieses Mal war es anders. "Netter als ich ?" hakte Angela nach. "Wieso ... ich ... Du ... nein ..." Brian suchte verzweifelt nach Worten, doch er wusste nicht einmal, was er antworten wollte. "Du hast sie geküsst." "Aber das war doch nur ... Welche Rolle spielt das ? Wir beide sind doch Freunde, oder ?"
Angela blickte ihn stumm an. Brian lächelte sie vorsichtig an. Schliesslich lächelte auch sie zurück. "Freunde." sagte sie und reichte ihm ihre Hand. "Für immer." fügte sie hinzu. "Freunde." bestätigte Brian erleichtert und griff nach ihrer Hand. Beide lachten. "Und nun sollten wir aber ..." begann Angela, doch sie wurde von Patty unterbrochen,die in diesem Moment die Veranda betrat. "Brian, ich denke, daß Deine Eltern bestimmt schon essen wollen. Sie warten sicherlich schon." sagte sie und schaute Brian auffordernd an. Etwas überrascht liess er Angela's Hand los und stand auf. "Äh, ja, Mrs. Chase, ich werde dann lieber mal 'rüber gehen". Angela's Eltern hatten ihn eigentlich immer zum Essen eingeladen, ihm kam es schon etwas seltsam vor, daß sie ihn nun fortschickten, doch nach dem Unglück mit Kathie war es ihm auch ganz lieb, daß er heute abend nicht mit Mister und Mrs Chase an einem Tisch sitzen musste. Also verabschiedete er sich höflich, winkte Angela zu und ging durch den Vorgarten auf die Strasse zu. Dabei ging er auch an dem Baum vorbei, unter dem er vor nicht mal dreissig Minuten zum ersten Mal ein Mädchen geküsst hatte. Er beschloss, sich diese Stelle genau zu merken.
"Angela, Liebes, wir müssen miteinander reden. Dringend." hörte er Angela's Mutter noch leise, während er fortging. "Worüber ?" fragte Angela. "Ehm. Nun, Du bist jetzt 12 Jahre alt und Dad und ich, wir haben uns gedacht ..." Patty schüttelte den Kopf und begann neu. "Weisst Du, es gibt da eine Sache zwischen Mann und Frau, weisst Du, wenn sich zwei Menschen ganz doll lieb haben, dann ... ehm ... dann..." Mehr konnte Brian nicht verstehen, eine kurze Windböe zerriss die Worte, er hörte nur noch einzelne Silben. Er drehte sich noch einmal um und blickte in Angela's Gesicht, das geradezu um Hilfe zu flehen schien. Neben ihr saß Patty mit einem hochkonzentrierten Gesichtsausdruck, ihre Hände hielten Angela's linke Hand umschlossen und streichelten sanft den Handrücken.
Irgendwie ahnte er, daß sich nun einiges ändern würde. Er wusste nicht, was passiert war, aber irgendetwas *war* passiert.
* * *
All diese Erinnerungen. Damals war er erst sechs und bei der Sache mit Kathie gerade mal 12 Jahre alt gewesen. Er versuchte sich vorzustellen, wie er als 20jähriger über die Zeit als 15jähriger nachdenken würde. Brian schüttelte den Kopf und blickte auf seine Uhr. Nur noch knapp zwei Stunden bis Mitternacht. Und Angela war immer noch nicht zuhause. Das würde mit Sicherheit Zoff mit ihren Eltern geben.
Er begann darüber nachzudenken, ob *seinen* Eltern wohl auffiel, daß er nicht in seinem Bett lag. Unwahrscheinlich. Und selbst wenn es ihnen auffiel, sie würden es vermutlich sogar als positiven Schritt in die Unabhängigkeit von der elterlichen Fürsorge werten. Brian schnaufte verächtlich.
Allmählich machte ihm die Kälte dieser eigentlich noch relativ milden Februar-Nacht zu schaffen. Er zog den Verschluss seiner Jacke noch etwas höher und verschränkte die Arme vor seiner Brust. Warum saß er eigentlich hier ? Was glaubte er zu erreichen, wenn Angela hier auftauchen und ihn in eiskalter Nacht auf dem Baum entdecken würde ? Sie müsste ja denken, daß er nun *total* verrückt geworden sei, vor allem nach der Szene, die er sich vorhin geleistet hatte.
Ein letztes Mal blickte er von seinem Aussichtspunkt im Baum die Strasse hinauf und herunter, doch von Jordan's Plymouth, geschweige denn von Angela war nichts zu sehen. Wie üblich um diese Zeit lag die Strasse still und verlassen da. "So ist das Leben - mal flach und mal eben." murmelte er vor sich hin und sprang von der Astgabel herunter. Sein Rad neben sich herschiebend ging er auf das Haus seiner Eltern zu, während er mehrmals gähnte.
Langsam trat Angela aus dem Sichtschutz des Busches heraus, sorgfältig darauf achtend, daß Brian sie nicht entdecken konnte und und sah gedankenverloren zu, wie er vorsichtig die Haustür öffnete und kurz darauf im Haus verschwand. Sie ging noch ein paar Schritte, bis sie mitten auf der Strasse stand. Dort blieb sie einige Minuten stehen, starrte einfach nur auf das Haus der Krakows. Schliesslich wandte sie sich um und suchte nach ihrem Haustürschlüssel.
Sie würde heute Nacht über einiges nachdenken müssen.
* * *
"Wo ist Brian ?"
Sharon klang ziemlich verzweifelt. Sie blickte Angela, Rickie, Delia und Rayanne fragend an. Doch alle vier zuckten nur ahnungslos mit den Schultern. Die kleine Gruppe stand im Schulflur in der Nähe von Rayanne's Spind.
"Ich habe ihn seit gestern abend nicht gesehen. Er war auch heute morgen nicht im Bus - das hat mich auch schon gewundert." meinte Angela, die sich nicht daran erinnern konnte, daß Brian in den letzten 4 Jahren einmal nicht zum Unterricht erschienen war. (Abgesehen, von dem Winter vor zwei Jahren, als die ganze Region in einem gigantischen Schneechaos versunken war und kein Bus mehr fuhr.) "Nicht, daß ich auf ihn gewartet hätte oder so, oder ..., aber ..." Sie stammelte vor sich hin, während Rickie sie mit hochgezogener Augenbraue ansah. Mit einem entschlossenen "... er war nicht da." brachte Angela schliesslich ihren Satz zu Ende.
"Verflucht !" raunzte Sharon und stampfte mit dem Fuß auf. "Hey, Du hast eh keine Chance bei Krakow." sagte Rayanne und öffnete die Tür ihres Spinds. "Er ist schon mir verfallen." "Ha-ha. Deine Witze waren auch schon mal besser." erwiderte Sharon kurz. "Der PC im Yearbook-Raum läuft nicht mehr richtig. Ich komme nicht mehr an all die Texte 'ran, er bringt immer so eine dumme Fehlermeldung. Und da Brian sich ja etwas mit Computer ... Wisst ihr noch jemanden, der sich damit auskennt ?" fragte sie und blickte die anderen hoffnungsvoll an.
"Wesley soll auch ziemlich gut sein." meinte Rickie. "Welcher Wesley ?"